Extraleben - Trilogie
abbiegen, wenn wir Richtung Norden wollen. Doch das würde bedeuten, an Denver vorbeizufahren, raus aufs platte Land, wo wir noch mehr auf dem Präsentierteller sind. Hektisch dreht sich Nick wieder Richtung Heckscheibe um. Anscheinend ist ihm was eingefallen. Noch eine Viertelmeile.
»Was jetzt?«, keife ich rüber.
»Okay«, schreit Nick in mein Ohr, »wenn ich >los< sage, wendest du.«
Ist er völlig durchgeknallt?
»Dann fahren wir denen ja noch entgegen ... «
»Pass auf!«, schreit Nick. Seine Stimme. überschlägt sich .
»Der Hughes schafft mindestens 220, wir fahren viel langsamer. In 'ner haben Minute haben sie uns eh. Also nochmal: Wenn ich >los< sage, wendest du auf dem Mittelstreifen und fährst sofort auf der anderen Seite wieder drauf.«
Totale Mist-Idee. Wozu stehen denn überall auf den Schnellstraßen diese Schilder, dass nur Notfallfahrzeuge einen U-Turn machen dürfen?
»Alter, weißt du, was das an Strafe kostet, wenn uns die Cops erwisch...«
Plötzlich rauschen wir in den Schatten einer Autobahnbrücke.
»Looos«, schreit Nick. Warum sollte ich das tun? Hey, was soll das? Er hat blitzschnell seine Hand zum Steuer ausgefahren und reißt es nach links rum. Vollidiot, das kannste mit so 'ner Kiste nicht machen! Der Wagen bockt kurz und rumpelt auf den Grasstreifen rüber. Lehmbrocken knallen gegen die Federbeine. Jetzt bloß nicht zu heftig lenken, sonst kippen wir noch um. Grasbüschel prasseln auf die Motorhaube, von unten kommt ein hämmerndes Geräusch. Scheiße, die Steine hauen uns den Unterboden kaputt! Langsam verliert die Karre an Tempo. Die Hälfte des Mittelstreifens haben wir geschafft, die Pfeiler der Brücke sind auch vorbei. Von überall her kommt wildes Hupen. Die ganzen Petzen hängen bestimmt alle schon am Telefon, um uns bei den Cops anzuschwärzen.
»Alter, du bist völlig besch ...«
Egal, jetzt erst mal vorsichtig bremsen, damit wir nicht in den Gegenverkehr rasen. Nick hat seine Hand zurückgezogen und umkrampft den Haltegriff. Sein Mund steht weit offen, so, als wollte er schreien, bekäme aber keine Luft. Endlich, wir sind wieder langsam genug, um gefahrlos zu lenken. Ich ziehe weiter nach links und drehe den Wagen ganz rum, bis unsere Haube in die Fahrtrichtung der Gegenspur zeigt. Gas. Glück gehabt, in die andere Richtung ist nichts los. Schwupp, das Rumpeln hört auf, wieder Asphalt unter den Rädern.
»Gas, Gas, Gas«, keucht der Beifahrer. Sein Gesicht ist kalkweiß.
»Gas, Gas, Gas, wohin?«
Die Aktion eben hätte auch schön in die Hose gehen können, mein Freund.
»Zum Flughafen!«
»Was ist mit dem Heli?«
Nick reißt den Kopf rum und versucht, gegen das Licht der untergehenden Sonne irgendwas zu erkennen.
»Scheiße, die drehen um, hat nicht geklappt.«
Er klingt weniger resigniert, als er müsste.
»Ich dachte, die sehen uns nicht, wenn wir unter der Brücke wenden. Wahrscheinlich haben wir 'ne Monster-Staubfahne hinterlassen und sie haben den Braten gerochen.«
Ich spüre, wie das Ende der Dienstreise näherrückt.
»Und jetzt?«
Nick schaut abwechselnd nach vorne und in den Seitenspiegel.
»Einfach weiterfahren. Eine Chance haben wir noch.«
»Welche?«
»Erklär ich später, fahr einfach weiter.«
Später, später - wann erklärt er überhaupt mal was? Bloß nicht in den Spiegel gucken, bloß nicht in den Spiegel ... Ach, was soll's. Was, so nah dran sind die schon? Man kann jetzt sogar den Piloten erkennen. Trägt 'ne Ray Ban Aviator, dafür müssten ihm die Bullen eigentlich eine Klischee-Knolle verpassen. Was soll der ganze Verfolgungsmist überhaupt? Was wollen die machen? Uns hier mitten im Berufsverkehr mit ihren Kufen von der Straße schubsen? Wir kurven doch nicht durch irgendeine Bananenrepublik, außerdem kriegen sie das Tape niemals in die Finger, wenn wir einen Unfall bauen. Wie kann der Beifahrer nur so ruhig bleiben? Anstatt »weiterfahren« zu sagen, macht er nur noch mit der Hand so eine Bewegung Richtung Windschutzscheibe, als ob er einen Block Ziegelsteine in Zeitlupe durchschlagen wollte. Da, jetzt hört man sogar die Turbinen, genau wie damals in Grönland. Seitenspiegel checken. Nein, sie sind nicht mehr zu sehen. Das heißt, sie kleben jetzt direkt über uns, im toten Winkel überm Dach. Um nachzuschauen, müssten wir uns rausbeugen, damit ginge das letzte Stückchen Tarnung flöten. Wäre eigentlich auch egal, denn leider gibt es nicht so viele weiße Durangos, wie Nick bei der Auswahl des Wagens wohl
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