Extraleben - Trilogie
müssen sie eine Regel befolgen: Solange die Technik noch funzt, darf nix Neues gekauft werden.«
»Quasi ein Update-Verbot!«
Genial, die perfekte Religion für uns! Langsam wird auch klar, warum die Datacorp zu denen beste Verbindungen pflegt ...
»Naja, und weil sie keinen neuen Kram anschaffen dürfen, müssen sie den alten eben am Laufen halten.«
Nick setzt einen stolzen »Tadaa«-Blick auf.
»Mir ist Joseph im Netz aufgefallen, weil er dutzendweise alte Commodore 64 aufgekauft hat. Später erzählte er mir, dass die Kolonien in den Achtzigern mal ein Cevi-Programm für die Kuhzucht oder so angeschafft haben und dass er das jetzt bis in alle Ewigkeit am Laufen halten muss. Joseph ist bei denen wohl so was wie der Admin.«
Interessant, trotzdem wird es langsam mal Zeit, zum Punkt zukommen.
»Und der hat einen IBM einundfünfzig-zehn in seiner Scheune?«
»Nicht nur das.«
Nick holt Luft, als wollte er ganz groß auftrumpfen, atmet dann aber aus und legt eine bedeutungsschwangere Pause ein.
»Aber wirste ja sehen.«
Wir haben die Stelle erreicht, an der aus dem Feldweg wieder asphaltierte Straße wird. Dass ich den Weg zurückgefunden habe, obwohl ich doch auf dem Hinweg die Augen zumachen musste, fällt Nick nicht auf. Er plant wohl im Kopf schon den nächsten Schritt.
#34 T-2: 11:43
Der Beifahrer starrt wie hypnotisiert auf das Warmhalteöfchen, in dem sich zwei Hotdogs müde drehen. Das tun sie scheinbar schon ziemlich lange, denn ihre Haut sieht runzeliger aus als die der Rentnerinnen am Strand von Boca Raton, Florida. Trotzdem rotieren die beheizten Metallstangen, auf denen die Hotdogs liegen, gnadenlos weiter, vermutlich bis sie zu Briketts geworden sind. Fasziniert verharrt Nick vor dem Würstchenballett, sein leerer Blick scheint das Grillgut zu durchdringen. Plötzlich zuckt er zusammen und schlorrt in den nächsten Gang, über dem ein riesiges Schild hängt, das Gourmet Cafe verspricht. Auf dieser Seite des Atlantiks bedeutet das, die Lorke wurde mit Zimt, Haselnussaroma oder Schokolade versetzt und ist für einen Menschen mit Y-Chromosom absolut ungenießbar. Nick stromert weiter, bis er die normale Kaffeemaschine in der hintersten Ecke erreicht hat, und schnappt sich zwei Becher. Während er den Zapfhahn runterdrückt, spult er seine Infos ab: „Okay, die Jungs vom Bruderhof haben den IBM wohl mal in den Siebzigern angeschafft, um eine Bewässerungsanlage zu steuern. Deshalb hat er sogar eine ... «, zufriedener Seufzer, „... V.24-Schnittstelle.«
Nicks Retromanie hat in letzter Zeit einen neuen Höhepunkt erreicht: die Bus-Nostalgie. Beim Anblick eines Firewire-Anschlusses kriegt er schon fast feuchte Augen, und wenn er davon redet, es sich »mit einem leckeren Port« gemütlich zu machen, ist er vermutliche der einzige Mensch auf dem Planeten Erde, der an eine SCSI-Schnittstelle denkt. Alles schön und gut. Aber die V.24-Schnittstelle bringt uns nichts, da wir keinen Rechner dabei haben, auf den wir die Daten vom IBM digital überspielen könnten. Bleibt also nur, den Inhalt des Tapes auf »tote Bäume«, wie Nick immer lästert, auszudrucken. Ein harter Medienbruch, der ihm weh tun wird. Aber hier, in Mutterns Tanke mitten im Nirgendwo, gibt es nun mal keine Computer zu kaufen, und das Äußerste, was an Elektronik im Sortiment ist, sind ein paar 12-Volt-Kabel für den Zigarettenanzünder. Dabei stapeln sich im Wal-Mart ein Kaff weiter die Rechner bis unter die Decke. Doch dahin zu fahren hat der Beifahrer mir gerade erst verboten, weil es da »zu viele Augen« gäbe. Muttern selbst steht hinter der Kasse und hat keine Prozessorleistung mehr frei, um uns oder unsere ausländische Sprache zu bemerken, weil sie auf einem uralten Game Boy zockt. Und zwar auf diese Weise, wie es nur Menschen unseres Alters tun: mit diesem Ausdruck totaler Überforderung im Gesicht. Dieses Gedudel ... jap, sie spielt Super Mario World. Besonders weit ist sie allerdings noch nicht gekommen, es fiept diese orientalische Mucke rüber, das heißt, sie steckt in der dritten World fest, wo alles so pseudoägyptisch ist und man sich immer fragt: Was nervt mehr - das Gedudel oder die Klötze, die von der Decke rieseln? Währenddessen fixiert sie den alten Game Boy angestrengt durch ihre Lesebrille. Ich scanne die Regale. Ein Großteil des Platzes nehmen gefühlte zweihundert Sorten Beef Jerky ein, das sind getrocknete, völlig versalzene Fleischstückchen, typischer Provinzfraß. Wo ich schon in der
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