Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)
habe ich mir sehr häufig gestellt. Und im sportlichen Kontext konnte ich sie relativ schnell beantworten. Meine Stärken liegen hier im extremen Ausdauersport und nicht im klassischen Laufsportbereich. Auf einer Halbmarathon- oder Marathonstrecke kann ich nicht mein gesamtes Potenzial ausschöpfen. Das wurde mir relativ schnell klar, als ich nach meinen ersten Marathons versuchte, meine Zielzeit auf dieser Strecke zu verbessern. Ich investierte sehr viel Energie in mein Lauftraining und lief dennoch im Wettkampf nicht die Zeit, die ich aufgrund meiner Trainingsleistungen hätte laufen können. Meine große Stärke ist die Willenskraft und diese kommt mir gerade bei sehr langen Distanzen zugute. Je länger eine Strecke, umso mehr spielen die mentale Stärke und die Willenskraft wichtige Rollen. Natürlich ist auch bei einem 10-Kilometer-Lauf, einem Halbmarathon und Marathon der Kopf ein zentraler Erfolgsfaktor, doch bei einem Ultramarathon kommt dem geistigen Bereich ein noch höherer Stellenwert zu.
Meine Stärken im beruflichen Kontext waren mir nicht sofort bewusst. Hier habe ich mich zunächst sehr schwer getan, meine Stärken zu erkennen. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, dass ich eine angenehme Stimme habe und diese auch sehr gut einsetzen kann. Bis mich eines Tages eine gute Freundin darauf aufmerksam machte. Mein sprachliches Talent war mir nie wirklich bewusst. Ich ging davon aus, dass ein akzentuiertes Sprechen und eine gute Präsentation Selbstverständlichkeiten sind.
Was mir mit der Zeit immer mehr bewusst geworden ist, ist die Tatsache, dass die Dinge, die mir Freude bereiten, gleichzeitig meine Stärken darstellen. Was dich begeistert, das machst du gerne und was du gerne machst, darin bist du auch gut. Klingt eigentlich logisch, oder? Jeder Mensch hat doch etwas, das ihn begeistert. Der eine sammelt leidenschaftlich gern Briefmarken, der andere arbeitet ehrenamtlich im Musikverein, der nächste engagiert sich für sein Leben gerne in einer Hilfsorganisation. Wenn ich diese Leute fragen würde, ob sie in ihrer jeweiligen Aufgabe gut sind, bekäme ich sicherlich ein Ja als Antwort. Dabei muss es sich nicht immer um die hauptberufliche Tätigkeit handeln, von der man lebt.
Ich habe mich in der Schulzeit immer sehr schwer getan, handwerkliche Aufgaben durchzuführen. Fächer wie Bildende Kunst oder Technisches Werken hasste ich. Es überrascht Sie wohl nicht, wenn ich Ihnen verrate, dass ich in diesen Fächern nie besonders gute Noten schrieb. Das Fach Sport hingegen zählte von Beginn an zu meinen Lieblingsfächern. Ich verstehe bis heute nicht, warum man als Schüler an einem Unterrichtsfach dauerhaft teilnehmen muss, obwohl man dafür offensichtlich kein Interesse hat und keine Begabung mitbringt. Diese Zeit könnte man doch viel effektiver in Fächer investieren, die einen begeistern und für die man Talent hat.
Sie haben in den letzten Zeilen einige Mal das Wort Stärke gefunden. Was versteht man überhaupt darunter? Mein geschätzter Rednerkollege und ehemaliger Handballnationalspieler Jörg Löhr definiert Stärke folgendermaßen:
Stärke = Talent + Wissen + Können + Wollen
Lassen Sie uns die einzelnen Begriffe genauer betrachten. Talent ist wichtig, überhaupt keine Frage, doch es stellt in meinen Augen von diesen vier Faktoren den unbedeutendsten dar. Talent wird in der heutigen Zeit maßlos überbewertet. Mit Talent alleine kommt man nicht weit im Leben. Ich bin beispielsweise überhaupt kein überdurchschnittlich talentierter Läufer. Es gibt Athleten, die verfügen über deutlich mehr Talent, als ich es habe. Und trotzdem geben diese beispielsweise bei einem Ultraberglauf wie am Mont Blanc vorzeitig auf. Talent kann also nicht alles sein. Glücklicherweise existieren noch weitere Faktoren, die eine echte Stärke ausmachen, allen voran das Wollen. Nehmen wir dazu ein bekanntes Beispiel aus dem Tennissport: Ivan Lendl. Ivan Lendl zählt ohne Frage zu den erfolgreichsten Tennisspielern aller Zeiten. Er gewann acht Grand-Slam-Titel und stand insgesamt 270 Wochen an der Spitze der Weltrangliste. Doch Ivan Lendl war sicherlich nicht der talentierteste Spieler seiner Zeit. Im Gegenteil, ihm wurde häufig nachgesagt, dass seine Art Tennis zu spielen, an eine Maschine erinnere. Andere Tennisgrößen wie Boris Becker oder Stefan Edberg wiesen ein weitaus größeres Talent auf. Doch was Ivan Lendl auszeichnete, waren sein eiserner Wille, seine Disziplin und sein Fleiß. Er trainierte jeden Tag
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