Extrem: Die Macht des Willens (German Edition)
in der Vorbereitung auf einen großen Lauf stehe. Selbst einem leidenschaftlichen Ultraläufer wie mir fällt es nicht immer leicht, in seine Laufklamotten zu schlüpfen und loszulaufen. Da gibt es manchmal zahllose Gründe, die einen vom Laufen abhalten: schlechtes Wetter, Verpflichtungen als Familienvater, wichtige Termine im Job oder allgemeine Unlust.
Der Winter in 2009/2010 brachte verhältnismäßig viel Schnee und kalte Tage mit sich, im Vergleich zu den Vorjahren. Ich starte meistens im Januar mit meinem Grundlagenausdauertraining in die neue Saison, das nach ein paar Wochen auch die ersten langen Trainingseinheiten vorsieht. Mit langen Trainingseinheiten meine ich Dauerläufe von 35 bis 50 Kilometern. Dabei bin ich schon einmal fünf bis sechs Stunden am Stück unterwegs. Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein: Bei grauem Himmel, bei Minusgraden und vereisten Wegen macht es mir nicht immer Freude, stundenlang durch den Wald zu laufen. Es kostet mich manchmal enorme Überwindung, bei diesem Wetter in meine Laufklamotten zu steigen, hinauszugehen und loszulaufen. Wenn ich nun kein konkretes Laufziel hätte, würde ich zu Hause bleiben oder nur eine kurze Runde einlegen, aber sicherlich nicht fünf Stunden am Stück laufen. Indem ich aber immer weiß, warum ich jetzt hinausgehe und bei dieser Kälte laufe, fällt es mir ein Stück weit leichter, dies in die Tat umzusetzen. Dieses Ziel stellte bei mir im Mai 2010 einen Lauf durch die Atacamawüste in Chile dar, bei dem ich 600 Kilometer in vierzehn Tagen laufen wollte (darüber später mehr). Dafür war es notwendig, dass ich mir im Winter die nötige Grundlagenausdauer aneignete. Bei jedem noch so anspruchsvollen und langen Training dachte ich immer an meinen Wüstenlauf. Der Beweggrund saß mir also immer im Nacken und sagte mir: „Wenn du heute diese Trainingseinheit nicht durchziehst, dann wird es schwieriger, dein großes Ziel im Frühjahr zu erreichen.“ In solchen Momenten sind die richtige Einstellung, die vollkommene Identifikation mit seinem Ziel und das unbedingte Wollen ganz entscheidend. Eben „Ich will“ zu sagen. Was sagen Sie sich, wenn Sie morgens in Ihr Büro fahren oder Ihren Job antreten? „Ich gehe heute ins Büro, weil ich es will “? Oder eher: „Ich gehe heute ins Büro, weil ich Geld verdienen muss “? Ein himmelweiter Unterschied. In der Wissenschaft spricht man von intrinsischer und extrinsischer Motivation, die in fast jedem Buch über Motivation beschrieben werden, weshalb ich Ihnen deshalb längere Ausführungen darüber ersparen will. Nur so viel: Bei der intrinsischen Motivation kommt der Antrieb von einem selbst. Die extrinsische Motivation entsteht durch äußere Anreizfunktionen wie Provisionen, Sonderurlaub oder Incentives. Der extreme Ausdauersport dient in diesem Kontext wieder als Paradebeispiel. Ich kenne keine andere Sportart, die so trainings- und zeitintensiv ist wie ein langer Ausdauerwettbewerb. Ich investiere stellenweise 20 bis 25 Stunden in meinen Sport pro Woche und ich bin kein Profisportler.
Im Gegensatz zu Sportarten wie Fußball, Tennis oder Golf lässt sich mit extremem Ausdauersport kein großes Geld verdienen. Es ist eben eine Randsportart, die nicht so viele Fans und damit für Werbung verwertbare Kunden besitzt und deshalb nicht das große Medieninteresse genießt. Warum soll sich ein Mensch dennoch motivieren, Hunderte von Kilometern durch eine Wüste zu laufen? Sicher nicht wegen des Geldes oder des Ruhmes. Oder weil man dadurch materielle Dinge wie Autos oder Reisen gewinnen kann. Welche Motivatoren sind es dann? Ausschließlich die eigenen. Meine Motivatoren sind primär die Freiheit und Selbstbestimmung. Über mein Leben und meine Zeit selbst verfügen zu können, das motiviert mich ungemein. Ich weiß, wofür und warum ich so weit laufe.
Nur der eigene Antrieb führt dazu, dass ich beispielsweise auch unangenehme Trainingseinheiten durchziehe. Nur der eigene Antrieb bringt mich dazu, nach dreißig Stunden Laufen und größter Müdigkeit weiterzumachen. Dieser Antrieb macht sich beispielsweise dadurch bemerkbar, dass ich das Verlangen habe, jetzt unbedingt laufen zu gehen, auch wenn es draußen hagelt und schneit. Wenn ich das starke Bedürfnis in meinem tiefsten Inneren verspüre, das tun zu wollen, dann spreche ich vom eigenen Antrieb. Warum hat man den? Weil wir Menschen innerlich das Bedürfnis nach Wachstum verspüren. Das ist eine Art Grundbedürfnis. Um zu wachsen, benötige ich
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