Ezzes
geschlendert. Doch seit einigen Jahren war dieser Bereich des Bezirks nur noch eine einzige Baustelle, entstand doch vom Matzleinsdorfer Platz bis zur Wienzeile ein kommunaler Wohnbau neben dem anderen. Zwar war der Hundsturmer Friedhof im Vorjahr zu einem Park umgestaltet worden, aber ein wirklich lohnendes Ausflugsziel war der auch nicht gerade. Dort konnte mansich höchstens auf eine Bank setzen und die Tauben füttern. Im Waldmüllerpark, der vor dreieinhalb Jahren von Bürgermeister Reumann an der Stelle des seinerzeitigen Matzleinsdorfer Friedhofs eröffnet worden war, gab es wenigstens die Schachspieler, bei denen man kiebitzen konnte, aber in den Haydnpark, wie das Areal nun hieß, verirrten sich höchstens ein paar Pensionisten. Es hatte zwar einen gewissen Charme, sich ab und zu selbst über den Fortschritt der Bauarbeiten am Gürtel zu informieren, aber ein ansprechendes Programm für einen schönen Samstag war das wohl kaum.
Was also tun? Bronstein erhob sich und ging zu dem Tisch mit den Zeitungen hin. Irgendwo da mochte sich doch ein brauchbares Programm finden, dachte er, und griff auf gut Glück nach der „Neuen Freien Presse“, da ihm auf der letzten Seite das Tagesprogramm ins Auge gestochen war. Auf der Roland-Bühne gab man „Die weiße Sklavin im Netz der Mädchenhändler“, registrierte er halb belustigt, halb entsetzt. Doch selbst im Burgtheater regierte offenbar die Niveaulosigkeit, „Adam und Eva“ hieß die Schmiere, die man dort auf die Bühne zu bringen wagte. Das Volkstheater gab „Der Musikant Gottes“, und spätestens da wusste Bronstein, die heimischen Theater mussten auch weiterhin auf seine Gegenwart verzichten.
Er machte sich auf die Suche nach einem Kinoprogramm. Er blätterte die Zeitung von vorne nach hinten und noch einmal von hinten nach vorne durch, doch fand er nicht, was zu finden er begehrte. Tja, anscheinend war „Presse“-Lesern der Kino-Besuch kein Anliegen. Doch auch in der „Wiener Zeitung“ wurde er nicht fündig. Konnte es sein, dass die Zeitungen gar kein Kinoprogramm abdruckten? Ihm war dieser Umstand bislang keine Überlegungen wert gewesen, da es ihn so gut wie nie ins Kino zog. Und eigentlich war der Tag ohnehin zu schön, um ihn weiter in geschlossenen Räumen zu verbringen. Sein Blick fiel auf das „Kleine Blatt“. Da wurden die Pferderennenin Baden angepriesen, die um 15 Uhr beginnen sollten. Mit der „Badner Bahn“ war er in leidlich 45 Minuten vor Ort. Ja, dachte Bronstein, das mochte eine nette Abwechslung werden. Man saß im Freien, hatte ein bisschen Nervenkitzel, durfte ein wenig über den Ausgang der einzelnen Rennen rätseln und sich hernach gemütlich in einen Badener Heurigen zurückziehen, um so den Tag geruhsam ausklingen zu lassen.
Bronstein zögerte nicht länger. Er erlegte beim Zahlkellner den gewünschten Betrag und verließ das Café. Vor dem Lokal fuhr eben die Straßenbahn in die Station. Bronstein bestieg sie und fuhr mit ihr bis zur Oper, wo sich eben eine Garnitur der Badner Bahn anschickte, ihre Reise anzutreten. Bronstein winkte dem Fahrer und schaffte es im letzten Augenblick, noch auf den bereits fahrenden Zug aufzuspringen. Keuchend entrichtete er den Fahrpreis und ließ sich dann schnaufend auf einer Holzbank nieder.
Die Bahn zuckelte die Wiedner Hauptstraße entlang und gelangte so alsbald in die äußeren Bezirke der Stadt. Bronstein rauchte und sah dabei aus dem Fenster. Langsam veränderte sich die Landschaft. Die Bebauung wurde immer schütterer, das Grün begann mehr und mehr zu überwiegen. Bronstein dachte darüber nach, was er, waren die Rennen erst einmal vorbei, beim Heurigen bestellen würde. Er konstatierte einen Gusto nach einem saftigen Surschnitzel. Dazu einen kräftigen Weißen aus Guntramsdorf oder Gumpoldskirchen, und der Abend war ohne Frage gerettet, egal, wie die Pferderennen auch immer ausgehen würden. Wie viel Geld hatte er eigentlich bei sich? Ob er es sich leisten konnte, bei dem einen oder anderen Rennen auf ein Pferd zu setzen? Wenn er Maß hielt, dann war wohl nichts dagegen einzuwenden. Er durfte sich nur nicht dazu hinreißen lassen, zu hasardieren. Er kannte diese Eigenschaft an sich. Da ärgerte er sich, weil er einen Schilling auf irgendeinen Klepper gesetzt hatte, der ihn enttäuschte,und dann setzte er, um den Verlust auszugleichen, zwei auf die nächste Niete. Bei der dritten Mähre waren es dann schon fünf Schilling, und ehe er sich’s versah, war eine namhafte Summe auf
Weitere Kostenlose Bücher