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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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fand sich Colin Darcy in einer Zelle wieder, ohne Schuhe, ohne Gürtel, ohne spitze Gegenstände. Zur Sicherheit hatte er, nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatten, kräftig mit den Fäusten dagegengeschlagen und dem Polizisten, der jetzt zu seinem Schreibkram zurückkehren musste, einige Beschimpfungen hinterhergerufen.
    Als er sich beruhigt hatte, durfte Livia sich von ihm verabschieden. Er betrachtete ihr Gesicht durch das kleine Guckloch in der Tür.
    »Ich liebe dich, Colin«, sagte sie so laut, dass es die anderen hören konnten.
    »Hab ich zu dick aufgetragen?«, flüsterte Colin.
    Sie musste grinsen. »Du warst klasse«, flüsterte sie.
    »Wünsch mir Glück.«
    Sie ließ ihn für Sekunden in ihren Augen ertrinken, dann musste sie gehen.
    So blieb Colin Darcy allein in der Zelle zurück, die sonst ausschließlich Alkoholiker und Raufbolde beherbergte. Er ließ sich auf der Pritsche nieder, wartete auf die Nacht und darauf, dass jemand zu seiner Befreiung herbeieilen würde, jemand, der nicht zulassen konnte, dass er hier eingesperrt war, während Wesen, die Ewige waren, vergeblich nach Danny Darcy suchten.
    Die Stunden vergingen, und irgendwann döste Colin Darcy ein, tauchte durch einen unruhigen Traum und erwachte, als es draußen schon dunkel war und die Stechmücken vor dem Fenster ihre nächtlichen, vom Blut vieler Schlafender angeheizten Tänze aufführten.
    Die Zelle war klein und beengend.
    Wenn er länger als einen Tag hier drinnen bleiben müsste, dann würde ihm die Enge die Luft nehmen, davon war er überzeugt. Doch morgen früh würde ihn der Constable wieder laufen lassen. Colin würde sich für sein Verhalten entschuldigen und aufrichtig Besserung geloben, er würde dem Constable erklären, wie unendlich stark die nervliche Belastung für ihn sei und wie zermürbend es wäre, diese Familienangelegenheit zu regeln. Jeder, der eine Familie hatte, würde verstehen, was er meinte. Und der Constable, der alles in allem ein netter Mensch zu sein schien, würde ihn rügen und zur Ordnung ermahnen und dann laufen lassen.
    Das war der Plan.
    Zumindest der Plan für den kommenden Tag.
    Und definitiv der einzige Plan, den er hatte.
    Was heute Nacht passieren würde, konnte Colin indes nicht sagen, aber er hatte eine Vorstellung davon, was passieren könnte.
    Danny würde sicher in Rio Bravo abwarten, bis dies alles vorbei war, und irgendwie erfüllte Colin das alles mit Stolz, weil er sich in seiner Rolle als älterer Bruder wiederfand und den Kleinen schützen konnte, wie er es auch früher immer getan hatte.
    Was immer auch passiert war, es würde sich in den nächsten Stunden klären.
    Er seufzte, rieb sich müde die Augen.
    Arthur Sedgwicks Unfall, da war er sich jetzt sicher, hatte etwas mit ihm, Colin Darcy, zu tun. All die seltsamen Dinge, die sich im London-Leben zugetragen hatten, konnten keine Zufälle gewesen sein. Etwas ging da draußen vor, und Colin wusste, dass er sich mitten im Auge des Sturms befand.
    In was, fragte er sich erneut, bin ich da nur hineingeraten?
    Er verspürte nicht das gerinste Interesse, davongeweht zu werden.
    The answer, myfriend.
    Trotzdem!
    Is blowing in the wind.
    Er fühlte sich gut.
    'cause the times, they are a-changin'.
    Ja, er fühlte sich so erstaunlich beschwingt und gut wie schon lange nicht mehr. Und das, obwohl er in dieser winzigen Zelle festsaß.
    Im London-Leben, seinem alten, fast schon abgelegten Leben, war Colin Darcy allzeit in der Gesellschaft von irgendwem irgendwo gewesen, und trotzdem (oder gerade deswegen) hatte er sich allzeit allein gefühlt. Und jetzt, in dieser engen Zelle irgendwo in Stranraer, teilte er die Abendstunden mit ein paar Mücken, die es auf ihn abgesehen hatten, und fühlte sich kein bisschen allein.
    Er wusste, dass Livia da draußen war.
    Livia, die noch immer ihr Geheimnis hütete.
    »Wirst du es mir verraten?«, hatte er sie gefragt.
    »Das werde ich.«
    Dann hatten sie den Plan geschmiedet.
    Colin musste grinsen.
    Insgeheim gratulierte er sich selbst zu der seltsamen Nummer, die er vorhin abgezogen hatte. Er hatte gewusst, dass alles davon abhing, ob man ihn hier einsperren würde. Nach außen hin musste es so aussehen, als habe er keine Möglichkeit mehr, sich frei zu bewegen. Wer auch immer hinter all dem steckte, er musste genau das glauben.
    »Tschiep, tschiep«, machte es vor dem Fenster.
    Und er erschrak.
    Colin war früher oft mit seinem Vater durch die Landschaft der Rhinns gewandert, doch Vögel wie

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