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Fabula

Fabula

Titel: Fabula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Erwachsene bei der Erinnerung an diese Berührung.
    »Ich will es nicht wissen«, sagte Livia schnell.
    »Der Samen in ihrem Körper wuchs und wuchs«, fuhr Helen Darcy fort und lächelte dabei unentwegt.
    Er wuchs und wuchs, und das, was sich in des Mädchens dickem Bauch bewegte, tat ihr weh. Wie Nadeln, so fühlte es sich an. Als würde jemand versuchen, sich den Weg aus ihrem Bauch allein mit spitzen Fingernägeln zu bahnen.
    »In Märchen passiert so was schnell«, bemerkte Helen Darcy, »und manchmal, ja, manchmal, passiert das auch im richtigen Leben.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, nippte am Tee. »Oh, Sachen könnte ich dir erzählen, wenn ich wollte.« Doch dann kehrte sie zu der Geschichte zurück und sagte: »Es kam, wie es immer kommt.«
    Das Mädchen bekam es mit der Angst zu tun. Sie sprach mit dem Jungen, den sie so liebte, über das, wovor sie sich zu fürchten begann, doch der Junge lachte nur schallend, streichelte ihr übers Haar und beruhigte sie mit Worten, dass bald alles besser werden würde. Er küsste sie auf die Stirn, und eines Tages dann, als er später als sonst aus den Wäldern nach Hause kam, da roch er nach einer anderen Frau.
    Das Mädchen verzehrte sich vor bitterstem Kummer, doch verlor sie kein einziges Wort darüber. Sie wusste, dass der Junge alles abgestritten hätte. In den Wochen, die folgten, kam er immer später von der Arbeit. Sie kannte die Gründe, die er ihr nannte. Viel Holz gebe es zu schlagen in den Wäldern, viel abzuernten auf den Feldern.
    »So sind die Jungs«, sagte Helen Darcy.
    »Colin nicht.« Irgendwie fand Livia die Kraft, dies zu sagen. Es kostete sie Mühe, und sie hasste sich dafür in ebendiesem Augenblick.
    Helen Darcy lachte nur. »Woher willst du das wissen? Ich kenne Colin schon so lange, und ich weiß genau, welche niederen Gedanken die Männer haben,« Wieder fasste sie Livia ans Handgelenk. »Männer, Jungs, sie sind alle gleich.
    Du darfst ihnen nicht trauen. Wenn sie erst einmal dein Herz gewonnen haben, dann machen sie sich über deinen Körper her. Und wenn sie erst einmal auf den Geschmack gekommen sind, dann sind sie kaum mehr als hechelnde Hunde.« Die hellen Augen der fein gekleideten Frau kamen ihr ganz nah. »Habt ihr beide schon miteinander geschlafen? Du kannst es mir sagen, wir sind unter uns.«
    Livia wusste nicht, wie ihr geschah. »Nein, ich ... Das geht Sie gar nichts an, was ...« Die Stimme versagte ihr. Dann sagte sie, so energisch es ging: »Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.«
    »Du kennst das Ende der Geschichte aber noch nicht.«
    »Das Ende ist mir egal, gehen Sie!«
    Helen Darcy ließ sich nicht beirren, nippte seelenruhig am Tee.
    »Als der Junge eines Nachts gar nicht mehr zu dem Mädchen kam, da spürte sie, wie das Wesen, zu dem der Samen herangewachsen war, seine Nägel in ihr Fleisch grub.« Helen Darcy beobachtete Livia, wie ein Raubtier seine Beute fixiert.
    »Die Schmerzen ließen sie in die Knie gehen.«
    Das Mädchen schrie und weinte.
    »Das Wesen, das ihr Kind war, kam ihr kreischend aus dem Körper gekrochen, und dann ...« Helen Darcy blinzelte ihrer Zuhörerin zu. »Dann, ja, dann .,.«
    Livia konnte den Atem der Frau riechen und musste wieder an die böse Hexe denken, die Schneewittchen aufgesucht und mit Gürtel, Kamm und Apfel nach dem Leben getrachtet hatte.
    »Dann begann es zu fressen. Ja, wie alle Kinder ernährte es sich vom Fleisch seiner Mutter.« Helen Darcy lehnte sich in dem Sessel zurück und faltete zufrieden die Hände. »Man fand das Mädchen in einer Lache seines eigenen Blutes.« Sie warf Livia einen eindringlichen Blick zu. »Du siehst also, nicht alle Märchen haben ein schönes Ende.«
    Livia saß nur da und schwieg.
    Helen Darcy erhob sich. »Sei auf der Hut, Mädchen«, riet sie ihr. »Es gab schon andere Mädchen in Colins Leben. Deine Vorgängerin ist auch nicht besonders hübsch gewesen, dafür aber ein wenig seltsam, so skurril. Auf diesen Typ steht er nun einmal. Sei auf der Hut, denn mein Junge hat unruhige Augen, die immerzu wandern, von einem Mädchen zum anderen.« Sie lächelte, und zum Abschied tätschelte sie Livia erneut die Hand. Dann ging sie, wie sie gekommen war, schnell und unverhofft wie ein schlechter Traum, und als sie fort war, da fragte sich Livia, ob sie das ganze Gespräch nicht doch nur geträumt hatte.
    »Natürlich wollte ich mit dir darüber reden«, sagte Livia jetzt zu Colin, »so schnell es nur ging.« Sie schluckte. »Doch dann ...« Sie

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