Fabula
niemals zu mehr. Er las morgens die Zeitung oder ein Magazin oder einen Comic, und abends tat er es auch, das ersparte unnötige Worte, und zudem hatte man, wenn es denn unbedingt sein musste, immer ein Thema, über das man reden konnte. Man brauchte nichts anderes zu tun, als die Schlagzeilen des Tages zu überfliegen, und es würde sich zwangsläufig ein Gesprächsthema einstellen, so einfach war das.
So einfach ...
»Ich ging nach unten in den Salon, weil ich Danny nicht allein mit ihr lassen wollte.«
Als er den Raum mit dem großen Kamin betrat, stand Danny nur still da, und Helen Darcy redete auf ihn ein, wobei sie, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, unruhig im Salon auf und ab ging.
»Es ist, als sei es gestern gewesen«, murmelte Colin.
Jede noch so kleine Bewegung, jeder noch so zögerliche Atemzug, jeder noch so beiläufige Gedanke, es war alles noch da. Er konnte fast das Holz riechen und die klickenden und klackenden Geräusche hören, die jeder Schritt auf dem Steinboden gemacht hatte.
Ja, Colin betrat den Salon und hörte ganz genau die Worte, die den Mund seiner Mutter schon immer verlassen hatten, bevor ihnen, Danny oder ihm selbst, etwas wirklich Schlimmes passierte. »Habe ich dir schon die Geschichte von dem ...«
»Nein!«, schrie Colin.
Er wusste, was hier gleich passieren würde, und er wollte nicht, dass es passierte. Nicht mehr, es war genug. Sie hatte Danny und ihm viel zu oft die Grenzen gezeigt. Und es fing immer mit einer Geschichte an, die sie ihnen erzählte.
Helen Darcy, die sich nicht schnell schockieren ließ und immer eine gut durchdachte Show zu liefern verstand, drehte den Kopf ganz langsam, bedächtig fast, in aller Seelenruhe in seine Richtung. Wie ein Raubtier, so kam sie Colin in diesen Momenten vor.
Danny zuckte zusammen. Die Furcht stand ihm ins Gesicht geschrieben, und er zitterte am ganzen Körper, das konnte man sehen.
Archibald Darcy stand nur regungslos da, neben dem Kamin, mit hängenden Schultern und seiner braunen Strickjacke. Er gab sich alle nur erdenkliche Mühe, betroffen und streng auszusehen, was ihm nicht sehr gut gelang. Früher hatte er Colin hin und wieder eine Tracht Prügel verabreicht, wenn Helen Darcy so lange genörgelt hatte, dass ihm die Geduld abhandengekommen war. Hinterher hatte es ihm immer leid getan. Dann war er mit Colin wandern gegangen, und alles war wieder gut geworden. Aber er hatte nie das Wort gegen seine Frau erhoben, um einem seiner Söhne beizustehen.
Nein, das tat er nie.
Er spendete Trost, wenn alles vorbei war, aber das war nicht das Gleiche, bestimmt nicht.
»Nein?« Helen Darcy kommentierte den lauten, unbeherrschten Ausruf ihres ältesten Sohnes mit nur diesem einen Wort, das ausreichte, um all ihre Verachtung für ihn auszudrücken. Ihre Stimme war ganz ruhig und rauchig und vollkommen beherrscht. »Nein?« Sie wendete sich jetzt ganz von Danny ab und dafür Colin zu. »Er hat mich belogen«, sagte sie und zeigte mit ausgestreckter Hand auf Danny, ohne diesen auch nur anzusehen. »Dein Bruder hat wieder einmal alles getan, um Schande über die Familie zu bringen.«
»Blödsinn«, sagte Colin und wunderte sich darüber, wie fest seine Stimme auf einmal war. Es war, als brächen all die Gefühle, die sich während der letzten Jahre in ihm aufgestaut hatten, nun aus ihm heraus. Das, was Danny bevorstand, hatte er unzählige Male erlebt. Und er wollte nicht, dass es sich immer und immer wieder von Neuem zutrug. Irgendjemand musste diesen Kreis unterbrechen. Ja, er wollte einfach nur verhindern, dass es schon wieder passierte.
Helen Darcy starrte ihn an. »Er ist noch immer ein Lügner, und nichts, Colin, nichts und absolut gar nichts ist schlimmer als eine böse, vorsätzliche Lüge.«
»Du lügst doch auch, andauernd.« Er hätte sie ebenso gut ins Gesicht schlagen können.
»Was sagst du da?«
»Du hast mich schon verstanden.« Er ging hinüber zu Danny und stellte sich gleich neben ihn.
»Was gibt denn das?« Ihre Stimme bekam diesen zischenden Unterton.
»Er hat Angst vor dir.«
Sie riss die Augen auf. »Du wagst es ...«
»Lass ihn in Ruhe, Mama.«
Sie tat betroffen. »Du wagst es wirklich, so mit deiner einzigen Mutter zu sprechen?«
Colin musste an all die Geschichten denken, die Danny und er sich im Lauf der Jahre hatten anhören müssen. Die Danny und er all die Jahre lang erlebt hatten.
Ja, nicht wenige dieser Geschichten hatten sie dann am eigenen Leib erfahren.
»Danny ist dein
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