Fächerkalt
Kindes?«
»Bisher
nicht; ich schick’ eine Anfrage ans Standesamt. Das sind die beiden, die sich gemeinsam
erhängt haben.«
Lindt notierte
sich die wichtigsten Daten in seinem Notizbuch. »Todesjahr 1978, da war die Mutter
36 und die Tochter 18. Versuch bitte beim Standesamt auch die Daten von Eduard von
Villing rauszufinden. Geburtstag, Eheschließung, Adressen und all das.«
Paul Wellmann
las weiter: »Nächste Bewohnerin: Ilse Kapp ab 1980.«
»Schon wieder
eine alleinstehende Frau?« Lindt rieb sich die Stirn. »Verstehe ich nicht. Da wäre
doch Platz genug für eine Großfamilie.«
»Sonst ist
niemand aufgeführt. Moment noch, Anmerkung – diese Kapp wurde von ihrer Mutter 1988
als vermisst gemeldet. Ist nie mehr aufgetaucht.«
»Na, das
wird ja immer besser. Auf diesem Anwesen liegt wirklich kein Segen.«
»Dann klafft
wieder eine Lücke von drei Jahren. Vielleicht die Zeit, um jemanden für tot erklären
zu lassen?«
»Ich meine,
so was dauert wesentlich länger, aber das kannst du ja recherchieren.«
»Ich mach
mich gleich dran. Die Daten von Irene Stoll werde ich ebenfalls abfragen. Die ist
ab 1991 gemeldet und seit 2009 zusätzlich ihr Neffe, Konstantin von Villing. Den
kennen wir ja persönlich.«
Lindt hielt
sich die Nase zu. »Hoffentlich hat der sich in der Zwischenzeit mal gewaschen. Scheint
ihm ja zu gefallen in der U-Haft, oder hat er sich gemeldet?«
»Haftprüfungstermin
ist übermorgen. Glaubst du wirklich, dass er seine Tante umgebracht hat?«
»Wenn er
tatsächlich so ein Versager ist, wie ihn der Vater dargestellt hat, dann bestimmt
nicht. Wie war noch gleich die Formulierung, die er benutzt hat? Er habe sie auf
dem Gewissen. Das lässt ja die unterschiedlichsten Interpretationen zu.«
»Echt ein
gordischer Knoten, diese ganze Geschichte. Da werden wir uns die Zähne dran ausbeißen.«
»Paul, ich
muss mir das alles in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Mindestens zwei Stunden
lang.«
»Draußen
regnet’s«, antwortete Wellmann.
»Macht nichts.
Mein Schirm liegt im Auto«, antwortete Kriminalhauptkommissar Oskar Lindt, griff
sich Tabak und Pfeife vom Schreibtisch und machte sich zu einem gedankenanregenden
Spaziergang durch das herbstliche Karlsruhe auf.
Lindt schlug den Kragen seiner dicken
Jacke hoch, spannte den großen schwarzen Stockschirm auf, entzündete seine Pfeife
in einer windgeschützten Ecke und stiefelte gemächlich los. Wohin, das war eigentlich
völlig egal, Hauptsache raus an die frische Luft. Die Methode Denken beim Gehen
hatte sich bei ihm sehr bewährt.
Er nahm
die eher schmalen Straßen, nicht die mit vielen Läden, Schaufenstern und Passanten.
Schnell überquerte er deshalb die viel befahrene Karlstraße und wanderte anschließend
ziellos durch die Wohnstraßen der Südweststadt.
Er ging
nicht schnell, aber gleichmäßig. Dabei gelang es ihm, nach und nach seine Gedanken
zu strukturieren.
Er traute
dem Alten nicht. Nein, keinesfalls. Deshalb war es richtig, ihn zu überwachen.
Was konnte
ihn nur bewogen haben, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen?
Oskar, fragte
er sich, Oskar, würdest du es dem Alten zutrauen, vor zehn Jahren seine Frau umgebracht
zu haben? Damals warst du fest davon überzeugt – und heute, nachdem du ihm wieder
begegnet bist?
Ich weiß
es nicht, musste er sich eingestehen. Der Fund der Tatwaffe spricht dafür, ist allerdings
kein Beweis. Wenn es jedoch stimmt, was seine Rechtsanwälte sagten, und er seine
Aussage verweigerte, um einen nahen Angehörigen zu schützen, wer kommt dann als
Täter infrage?
Doch nur
sein Sohn! Aber warum hätte der seine eigene Mutter erschießen sollen? Außerdem
war er zur Tatzeit ja noch in Amerika.
Lindt hatte
keine Ahnung und er fühlte einen schweren, undurchdringlichen Nebel über allem lasten.
Über diesem kalten Anwesen, über allen seinen früheren Bewohnern, über Eduard und
Konstantin von Villing …
Der Nebel
drückte auf ihn, er drückte auf Oskar Lindt. Dick, feucht, schwer, kalt.
Wie er in
diesem Moment durch die Straßen der Karlsruher Südweststadt irrte, genauso verloren
kam er sich in der Nebelsuppe vor. Nichts war zu erkennen, nicht die Hand vor Augen,
geschweige denn ein Weg heraus aus diesem Labyrinth.
Sollte er
das Geheimnis vielleicht gar nicht lüften? War es einfach dazu bestimmt, für immer
im Verborgenen zu bleiben?
Nein, sagte
er sich, und das tat er so laut, dass zwei Mädchen, die ihm in farbenfrohen Regenmäntelchen
entgegenkamen, kichernd
Weitere Kostenlose Bücher