Fächertraum
Niedersachsen …«
»Ist mir grad wurst«, unterbrach Lindt den eifrigen Redeschwall von Jan Sternberg. »In einer halben Stunde im Präsidium.« Dann klappte er das Handy zu und ging doch in Richtung Imbiss.
»Lasst uns noch kurz überlegen, wie wir weitermachen«, begann er, doch der sorgenvolle Ausdruck in Paul Wellmanns Gesicht ließ ihn einhalten. »Ist was?«
»Dir gehts nicht gut, Oskar.«
»Wie kommst du da drauf?«
»Stimmt doch, oder?«
»Ach was!« Lindt machte eine wegwerfende Handbewegung. »Quatsch, was soll schon sein? Das machen wir beiden doch jetzt schon mehr als 30 Jahre.« Dann ließ er sich in seinen Schreibtischsessel fallen, kippte nach hinten und starrte zur Decke: »30 Jahre, und immer die gleiche Scheiße!«
Die Kollegen antworteten nicht und Lindt sprang wieder auf. »Zusammenreißen!« Damit stellte er sich ans Fenster. »Jan, schreib!« Dann diktierte er:
»Verstärkung. Als Erstes brauchen wir mindestens noch vier weitere Kollegen. Sechs wären besser. Alle Nachbarn befragen. Die in der Kaiserallee und die im Kirchfeld. Nachbarn wissen immer was. Bekannte, Verwandte, Freunde, Feinde – alles!«
Sternberg bejahte: »Hab ich.«
»Wo wohnt die Frau? Im Norden? Rausfinden, welche Kripo dort zuständig ist. Die sollen ihr mal einen Besuch abstatten.«
Jetzt nickte Paul Wellmann: »Mach ich – gleich morgen früh.«
»Staatsanwalt?«
»Conradi weiß Bescheid, hat gesagt, dass er die Presse hinhält und uns keinen Druck macht. Kommt vorbei – morgen.«
»Die Verkäuferin? Immer noch im Klinikum?«
Keiner wusste es.
»Rausfinden!«
»Morgen«, sagte Wellmann zum dritten Mal.
»Um sieben wieder hier?« Lindt schaute zu Sternberg. »Also um acht! Gute Nacht!«
Auch an diesem Abend beobachtete Carla wieder, was ihr schon seit Längerem Sorgen machte. »Magst du was essen?«
»Hilft nicht, hab ich bereits probiert«, erwiderte Oskar, wandte sich zum Fernseher und drückte auf die Fernbedienung. »Kam schon was?«
»Vorhin in den Landesnachrichten, aber nur ein Bild und ein paar Sätze.«
»Was für ein Bild?«
»Kaiserallee, ›Traumland‹, dieses Bettengeschäft. Inhaber erschossen.«
»Mehr weiß ich auch noch nicht«, seufzte Lindt und legte sich aufs Sofa.
»Geh doch lieber ins Bett«, rüttelte ihn Carla, als seine Atemzüge schon nach ein paar Minuten tief und gleichmäßig wurden.
6
Lindts kleines Heft bekam an diesem Morgen keinen Eintrag. Vielleicht war er zu erschöpft gewesen und hatte eine traumlose Nacht verbracht. Oder seine Gedanken wurden beim Aufwachen gleich wieder vom aktuellen Schrotschuss-Fall in Beschlag genommen. Jedenfalls fehlte ihm jegliche Erinnerung an das, was sein Unterbewusstes in der vergangenen Nacht für ihn bereitgehalten hatte.
Er tastete über das Kopfkissen: nass geschwitzt! Carla weigerte sich aufzustehen: »Du warst so unruhig. Ich muss noch liegen bleiben.« Sie drehte sich zur Wand.
Oskar lugte auf den Wecker. Erst kurz nach fünf, aber er war hellwach. Leise schlich er ins Bad, dann überflog er die Zeitung.
Nur eine kurze Notiz über den Fall. Eine Pressekonferenz habe noch nicht stattgefunden.
Ohne Frühstück stieg er ins Auto. Spontan entschied er sich für einen Abstecher in die Kaiserallee. 50 Meter vor dem Bettengeschäft stellte er den großen Citroën am Straßenrand ab und ging gemächlich auf dem Bürgersteig bis zu den beiden Schaufenstern. Alles lag noch in tiefer Dunkelheit. Bestimmt hatten die Techniker den Strom abgestellt. Was hätte es auch für einen Sinn gehabt, dieses Geschäft zu beleuchten? Wann die Firmenleitung wohl einen neuen Geschäftsführer schicken würde? Schemenhaft erkannte der Kommissar das ›Geschlossen‹-Schild an der Eingangstür.
Lindt stutzte. Geräusche vom Hof? Eine Autotür, dann ein Motor, schwerer Diesel.
Schnell hastete er zum Durchgang, der in den Hof führte. Plötzlich flammten Scheinwerfer auf, blendeten ihn, kamen auf ihn zu. Schützend hielt er die Hand vor seine Augen, konnte in der Enge aber nicht ausweichen.
Der Lastwagen kam knapp vor ihm zum Stehen. »Mann!« Ein junger Mann beugte sich aus dem geöffneten Fenster des Führerhauses. »Wo kommen Sie denn her?«
Der Kommissar trat aus dem Lichtkegel, quetschte sich seitlich vorbei und hielt dem verdutzten Fahrer seinen Dienstausweis vors Gesicht. »Kripo Karlsruhe, das möchte ich gerne von Ihnen wissen. Stellen Sie bitte den Motor ab!«
»Au, das war aber knapp. Tschuldigung. Ich hab Sie erst im letzten
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