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Fächertraum

Fächertraum

Titel: Fächertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Leix
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kennen?
    ›Mittagspause‹ hatte Carlas Kollegin am Telefon gesagt. Meistens war das für Oskar Lindt ein verlockendes Stichwort. Meistens, aber heute nicht. Heute war ein schwarzer Tag, so schwarz wie seine Cordjacke, die an der gegenüberliegenden Wand hing. Ohne weiter nachzudenken, zog er sie vom Bügel und schlüpfte hinein. Ihr fester dicker Stoff nahm ihn angenehm gefangen. Er spürte Stabilität und Sicherheit.
    Trug Inka deswegen gerne Lederjacken? Bestimmt fuhr sie immer noch Motorrad. Ihr Geburtstag am dritten August. Dieses Datum hatte er nie vergessen. 47 war sie jetzt. Warum musste sie ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt in Karlsruhe auftauchen? Oder wohnte sie schon länger hier? Hätte er fragen sollen?
    Wenigstens hatte sie die Form gewahrt und ihn nicht gleich vor seinen Mitarbeitern geduzt. In Sachen Umgangsformen schien sie dazugelernt zu haben.
    Lindt trat ins vordere Büro.
    Als er seinen Vorgesetzten in der Jacke sah, riss Jan gleich die Flurtür auf. »Sie müssen raus, Chef. Wir habens uns schon gedacht.«
    »Hmm«, brummte der Kommissar, sah sich nicht mehr um und nahm das Treppenhaus zum Hof. Er schloss sein altes Rad von der Kette, wartete, bis das Tor sich geöffnet hatte, und trat los.
    Erst hatte er kein Ziel, fuhr wieder über die Fußgängerbrücke, ließ seinen Blick die Ritterstraße entlangwandern, erkannte weit hinten den Schlossturm und fühlte, dass der Hardtwald jetzt genau das war, was er zur Beruhigung brauchte. Er radelte durch den Schlosspark, nahm die Durchfahrt auf der Universitätsseite, kam zur Kaffeeterrasse, sah nach links, dann nach oben und trat spontan die Rücktrittbremse. Knirschend kam er auf dem sandigen Weg zum Stehen. Kurz entschlossen wendete er, fuhr wieder zurück, stellte sein Rad ab und betrat durch den Vordereingang das Schloss.
    »Dienstlich«, sagte er und hielt der Frau an der Kasse des Badischen Landesmuseums seinen grünen Ausweis an die Glasscheibe. Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er weiter, einige Stufen hoch, den Gang nach hinten durch und öffnete schließlich die Tür zum Treppenhaus. Wie viele Stufen waren es noch bis ganz nach oben auf den Turm? Seine drei Töchter hatten sie früher manchmal gezählt.
    Karlsruhe von oben, der Blick faszinierte in dieser topfebenen Stadt ohne richtige Aussichtspunkte. Sie waren immer gerne hier heraufgestiegen. Auch die Blicke vom Durlacher Turmberg, von den Baden-Badener Battertfelsen oder von einem der vielen Schwarzwaldgipfel gefielen den Kindern, aber der Schlossturm offenbarte ihnen ihre unmittelbare Heimat aus der Vogelperspektive. Als Erstes hatten sie immer zur Oststadt gezeigt. ›Dort, unser Haus, das rötliche.‹ Doch das war Vergangenheit, die Töchter jetzt erwachsen und fortgezogen, um zu studieren. Etwas wehmütig erinnerte der Kommissar sich zurück.
    Im Raum der Tulpenmädchen blieb Lindt stehen. Carla mochte die Frühlingsboten, doch in diesem Raum ging es weniger um die Blumen als vielmehr um den Markgrafen und seine Verbindungen zu diesen Hofsängerinnen …
    Er verschnaufte kurz, dann nahm er die restlichen Stufen und trat ganz oben aus der Tür. Seit Jahren war er nicht mehr hier auf der Plattform gewesen.
    Unter ihm der Schlossgarten, begrenzt von der langen Mauer, dahinter der Hardtwald, wohin er eigentlich hatte radeln wollen, und rechts zwischen den Bäumen das Wildparkstadion mit seinen Flutlichtmasten.
    Die Waldstadt, wohin Carla und er vor wenigen Jahren gezogen waren, lag eher verdeckt. Das rötliche Backsteinhaus in der Oststadt erkannte er dagegen gleich wieder. 22 Jahre hatten sie dort gewohnt.
    Nicht weit vom Ettlinger Tor überragte das markante Badenwerk-Hochhaus die Innenstadt. Ein weiter Blick für den Landrat, der mit seiner Behörde dort eingezogen war – kein Fehler, die Dinge manchmal aus der Vogelperspektive zu betrachten, das spürte in diesem Moment auch Oskar Lindt.
    Ein Stück seiner Vergangenheit hatte ihn eingeholt. Er musste es akzeptieren. Nichts zu machen. 1,60 war sie groß, diese Vergangenheit. Auch sonst noch so wie früher?
    Langsam wanderte Lindt auf der runden Turmplattform umher. Im Moment war er ganz allein. Ab und zu blieb er stehen, hielt sich am Geländer fest und ließ seinen Blick umherschweifen. Mal direkt nach unten auf die vielen Radfahrer, die zwischen Universität und Moltkestraße an der Rückseite des Schlosses vorbeiflitzten. Mal eher in die Weite, wo er trotz des Herbstdunstes den Schwarzwald und die Vogesen erahnen konnte. Die

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