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Fächertraum

Fächertraum

Titel: Fächertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Leix
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Schornsteine des Rheinhafengeländes sah er ganz deutlich.
    So sehr er sich aber auch im Kreis bewegte, immer traf sein Blick auf die Straßen, die so angelegt waren, dass sie schnurgerade auf den Schlossturm zukamen. Nein, falsch, sagte er sich. Die Straßen entspringen hier am Schlossturm. So wie eine Sonne, die in alle Richtungen strahlt.
    Karlsruhe als Fächer, zu Beginn des 18. Jahrhunderts erbaut von Markgraf Karl-Wilhelm. Angeblich war er während der Jagd im Hardtwald unter einem großen Baum eingeschlafen und hatte sich dabei dieses System erträumt. Ein Traum von einer strahlenden Fächerstadt.
    Ob es eine große Linde war oder eine Eiche, unter der er geschlafen hatte? So eine, wie die alten Exemplare dort hinten im Schlossgarten, unter die sich auch Lindt gerne zum Nachdenken zurückzog?
    Ob der Baum genau da gestanden hatte, wo der Markgraf dann den Schlossturm erbauen ließ? Vielleicht stimmte die Legende. Auf jeden Fall stand er, Kommissar Oskar Lindt, im Moment genau im Zentrum der 32 Fächerstrahlen.
     
    Bald stand er möglicherweise im Zentrum des öffentlichen Interesses. Allerdings fühlte er sich gar nicht wie eine strahlende Sonne, ihm war eher, als hülle ihn ein düsterer Schatten ein.
    Die Boulevardpresse würde sich genüsslich auf ihn stürzen: ›Prügelbulle‹, ›Mordkommissar rastet aus‹. Schlagzeilen, die im düsteren Herbst sicherlich gerne gedruckt wurden.
    Ein ahnungsloser Fahrer, der keinen Schimmer hat, was er da wirklich aus Polen holt? Einer, der nur die Tür seines Lkws öffnen will, um auszusteigen? Und der aus heiterem Himmel mit Schwung und unter vollem Körpereinsatz von einem schwergewichtigen Polizisten zu Boden geworfen wird? Auf ›schwere Körperverletzung‹ müsste der Vorwurf lauten, und er, der erfahrene Kommissar, der schon Hunderte Male bei Gerichtsverhandlungen entscheidende Fakten präsentiert hatte, er wäre jetzt nicht Zeuge, sondern Angeklagter. Noch nie hatte Lindt auf der ›falschen Seite‹ des Verhandlungssaales Platz nehmen müssen. Niemals! So sollte es auch bleiben. Diese Anklage musste bereits im Keim erstickt werden.
    ›Das Verfahren wird eingestellt.‹ Diesen Satz wollte er auf den Akten von Staatsanwalt Conradi lesen, und zwar möglichst schnell.
    Das Handy vibrierte in Lindts Hosentasche und unterbrach seine Gedanken. Conradis Durchwahl wurde angezeigt. Lindt klappte das Gerät auf und meldete sich.
    »Keine guten Nachrichten, leider.« Wie durch dichten Nebel hörte der Kommissar die Stimme seines Lieblings-Staatsanwalts. »Ich muss Ihren Fall abgeben. Irgendjemand hat diesen Anwalt über unsere langjährige enge Zusammenarbeit unterrichtet. Prompt kam ein Fax von ihm an Wolf, den Leitenden Oberstaatsanwalt. ›Sie wohnen doch sogar in derselben Straße‹, hat der gerade eben zu mir gesagt und die Akten persönlich mitgenommen.«
»Solange er die Unterlagen nicht an …«
    Der Kurze zögerte einen Moment. »Genau das hat er vor. Es tut mir wirklich sehr leid. Mein Protest hat nicht gewirkt.«
    Lindts linke Hand, mit der er sich am Geländer festhielt, begann zu zittern.
    »Ich weiß ja auch, wie oft Sie schon aneinandergeraten sind. Das habe ich unserem Chef sofort mitgeteilt, aber es war nichts zu machen. Leider.«
    »Danke für Ihre Mühe«, presste Lindt heraus, dann klappte er das Handy zu.
    Auf einmal traute er sich gar nicht mehr, in die Tiefe zu schauen. Der Schlossturm begann zu schwanken, rotierte im Kreis. Er klammerte sich mit beiden Händen an das Geländer, schloss die Augen. Das Karussell verlangsamte sich zum Glück.
    Er hatte ihnen eine Steilvorlage geliefert. Denen, die ihn schon lange absägen wollten. Denen, die ihm die kontinuierlichen Erfolge neideten. Denen, die ihn wegen seines Gewichts hänselten. Denen, die nachrücken wollten und auf seine Planstelle lauerten. Denen, die meinten, seine Zeit sei gekommen.
    ›Nicht mehr öffentlichkeitsfähig‹, hatte Paul Wellmann vor ein paar Monaten auf der Herrentoilette aufgeschnappt. ›Seine Erfolge sind kein Verdienst, sondern purer Zufall‹, ›altertümliche Methoden‹, ›umständliches Arbeiten‹, ›stundenlang geht er spazieren‹. Das waren die Aussprüche, die seine beiden engsten Mitarbeiter ihm berichtet hatten. ›Oskar, wir haben lange überlegt, ob wir es dir sagen sollten, aber Jan und ich meinen, es ist besser, du weißt, wo der Feind steht.‹
    ›Am liebsten ermittelt er am Imbissstand.‹ Das hatte ihn ins Mark getroffen. ›Statt im Kaffeesatz,

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