Fächertraum
Lindt, und sein Tonfall wechselte auf kampflustig. »Was sagt er denn?«
»Können Sie alles in der Strafanzeige nachlesen, die ich gerade bei der Staatsanwaltschaft gestellt habe.« Er nahm ein Blatt aus seiner schmalen schwarz glänzenden Ledermappe und ließ es aus manikürten Fingern vor dem Kommissar auf den Schreibtisch segeln. »Ich wollte mir nur noch selbst einen Eindruck verschaffen, wie ein aggressiver und gewaltbereiter Kriminalpolizist aussieht.«
»Und jetzt?«
»Bin sehr überrascht«, lächelte der Anwalt wieder spitz. »So viel Beweglichkeit hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Da sieht man wieder, wie der erste Eindruck doch täuschen kann. Ich empfehle mich – ach, und einen Gruß an die werte Gattin.«
7
»Früher hätte ich so einem aalglatten Pinsel die Luft aus den Reifen gelassen«, knurrte Lindt mit hochrotem Gesicht, als der Anwalt zur Tür hinausgestelzt war.
»Beruhige dich, Oskar«, legte Paul Wellmann ihm die Hand auf die Schulter und nahm die Anzeige vom Tisch. »Der Kurze wird das sicherlich einstellen.«
»Lies vor!«
Wellmann überflog den Text: »Du sollst besagten Herrn Jürgen Wahr am heutigen frühen Morgen ohne jeglichen Grund vom Fahrersitz seines Lastwagens gezerrt und brutal zu Boden geschlagen haben. Dabei hat er anscheinend eine Nasenbeinfraktur, eine Jochbeinprellung, mehrere Platzwunden im Gesicht und eine schwere Gehirnerschütterung erlitten.«
»Sie sollten mir schleunigst eine Gegendarstellung liefern.« Staatsanwalt Conradi trat ins Büro. Sein üblicherweise freundlich-gelassener Gesichtsausdruck war einer sorgenvoll-ernsten Miene gewichen. »Ich kannte diesen Anwalt bisher nicht …«
»Meine Frau scheint ihn ja zu kennen«, brummte Lindt vor sich hin.
»Ich hoffe, dass nicht auch noch Ihre Gattin da mit hineingezogen wird«, antwortete der Kurze mit ungewohnt strengem Ton. »Und ich hoffe auch nicht, dass der Kollege an die Öffentlichkeit geht.«
»Ist wohl schon passiert«, entgegnete Paul Wellmann und deutete zur Tür.
»Alles, bloß das nicht!« Lindt wurde blass, als er die kräftige, untersetzte Frau mit weißblondem Bürstenhaarschnitt und Motorradjacke registrierte.
»Sie kennen die Dame?«, wollte der Staatsanwalt wissen und griff nach der laminierten Karte, die sie ihm unter die Nase hielt. »Bitte, nehmen Sie doch Platz.« Conradi bot ihr einen Stuhl an.
»Danke, ich stehe lieber.« Sie lächelte Lindt spöttisch an: »So sieht man sich wieder.«
Der Kommissar setzte sich und sagte nichts.
Stattdessen antwortete der Kurze: »Für Auskünfte wenden Sie sich bitte an unsere Pressestelle. Über die Details laufender Ermittlungen können wir leider keine Angaben machen. Für welche Zeitung schreiben Sie denn?«
»Ich arbeite frei, steht deutlich auf meiner Karte, fast nicht zu übersehen. Aber für diese Story interessiert sich bestimmt auch die ganz große Tagespresse, wenn Sie wissen, welches Blatt ich meine.« Sie zog die Mundwinkel noch mehr in die Breite und nahm eine große Spiegelreflex aus ihrer sichtlich abgenutzten ledernen Umhängetasche.
»Keine Fotos!« Jan Sternberg trat ihr in den Weg. »Hier drin wird nicht fotografiert.«
»Au, ein ganz Eifriger«, sagte die Journalistin, drückte ihm zwei Finger auf die Brust und schob ihn problemlos zur Seite. »Keine Angst, ich wollte nur mal kurz zeigen, was ich heute schon Schönes aufgenommen habe.«
Sie trat neben Lindt an den Tisch und zeigte ihm das Display der Digitalkamera.
Der Kommissar warf nur einen kurzen Blick darauf, dann wandte er sich ab. »Hat dieser nette Anwalt Sie geschickt?«
Sie ging nicht darauf ein: »Bis jetzt weiß ich nur, was mir der Herr im Klinikum erzählt hat.« Ihr Finger wies auf den kleinen Bildschirm der Kamera. »Sie erkennen ihn doch bestimmt wieder?«
»Und was hat der Ihnen gesagt?« Lindts Stimme klang ziemlich gepresst.
»Ach, jeder hat so seine eigene Sicht der Dinge. Wollen Sie mir nicht Ihre Variante erzählen?«
»Sollte ich das?« Das Gesicht des Kommissars verdunkelte sich zunehmend.
»Dieses Mal komme ich zu Ihnen, bevor ich schreibe. Einseitige oder tendenziöse Berichterstattung lasse ich mir nicht noch einmal vorwerfen.«
Lindt wusste, dass er in der Falle saß. »Sie treiben mich in die Enge. Gefällt Ihnen das?«
»Angst um den guten Ruf? Der berühmte Oskar Lindt, oberster Mordermittler der Fächerstadt, integer bis ins Mark, vor ihm bleibt nichts verborgen, er bringt immer die Wahrheit ans Licht! So sehen Sie sich doch, habe
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