Fächertraum
sucht er die Lösung in den Wurstzipfeln.‹ ›Zwei Thüringer mit Senf sind seine wichtigsten Waffen.‹ ›Alt und träge.‹ Vielleicht war sogar beabsichtigt, dass ihm diese Aussprüche zugetragen wurden.
Für einen Moment richtete Oskar Lindt seinen Blick wieder in die Tiefe. Dort unten konnte niemand heil ankommen. Schnell machte er die Augen wieder zu und schob diesen Gedanken weg, ganz weit weg.
Kämpfen, er musste kämpfen, und er konnte kämpfen. ›So leicht kriegt ihr mich nicht!‹ Er krampfte seine Hände derart fest ums Geländer, dass die Fingerkuppen weiß wurden.
Dann lockerte er den Griff wieder. Sein Mut sank. Jetzt auch noch die ›Eiserne Lea‹. Das hatte er nicht verdient. Diese Frau gegen sich zu haben, war schon für einen Verbrecher das Schlimmste, was ihm passieren konnte. Der Schrecken aller Angeklagten. Die furchtbarste aller Staatsanwälte. Eine Zunge wie ein Schwert.
Doch sie wütete auch in den eigenen Reihen. Oft genug hatte sie mit scharfen Worten Lindts Arbeit kritisiert. Zu langsam, zu ungenau, schlecht formulierte Berichte, niemals konnte er es ihr recht machen.
Conradi, der Kurze, hatte sich nie beklagt, sondern stets konstruktiv mit ihm zusammengearbeitet. Aber Oberstaatsanwältin Lea Frey war der Albtraum aller Ermittler, und jetzt nahm dieses furchtbare Weib ihn ins Visier!
Die Beine gaben nach. Lindt ließ sich zu Boden sinken. Seine Darstellung der morgendlichen Vorkommnisse würde sie gar nicht erst lesen. Aussage gegen Aussage! Hoffentlich war dieser Lkw-Fahrer wenigstens irgendwie vorbelastet. Ein Ermittlungsverfahren, ein Registereintrag würden ihn vor Gericht weniger glaubwürdig machen. Aber wenn nicht? Falls er völlig unbescholten war?
Der Kommissar schloss die Augen wieder. Sein Kopf sank auf die Brust. Er versuchte, sich zu entspannen, atmete tiefer.
Ein rötlicher Schein, erst in der Ferne, dann immer näher. Hitze, zuckende Flammen, eine Feuerfront raste auf ihn zu, schneller und schneller. Er war eingeschlossen, keine Chance. Durch, da musste er durch. Er musste durch dieses Feuer, aber es gab keine Lücke. Er schaffte es nicht. Die Flammen packten ihn, ein Schmerz …
Er schlug die Augen auf. Eine Hand an seiner Schulter. Das japanische Touristenpärchen beugte sich über ihn: »Okay? Are you okay?«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte er die beiden an, dann murmelte er undeutliches »Yes«. Er versuchte aufzustehen. Der schmale Japaner streckte ihm den Arm hin, doch Lindt wollte sich nicht helfen lassen. Der hätte ihn ohnehin nicht hochziehen können. Schwerfällig drehte er sich auf die Knie und stemmte sich dann an der Brüstung hoch. Steifbeinig stakste er zur Turmtür.
Wie er wieder nach unten zu seinem Fahrrad gekommen war, wusste er später nicht mehr. Mühsam trat er in die Pedale.
Ein schrilles Klingeln – »Pass doch auf« – fast ein Crash mit einem anderen Radler, einem, der es eilig hatte.
Lindt dagegen radelte jetzt sehr langsam, noch langsamer als sonst. Auf den geschwungenen Wegen durchquerte er den Schlossgarten und kam schließlich am See vorbei zum hinteren großen Tor. Dort stieg er erst mal ab. Carla anrufen? Nein! Sie sollte sich doch melden.
Musste er ihr jetzt von Inka erzählen? Noch mal nein! Außerdem war das vor ihrer Zeit gewesen, damals, als er für ein paar Jahre in Konstanz eingesetzt war. Eine Jurastudentin, die sich mit Zeitungsberichten über Wasser hielt.
Warum rief Carla denn nicht an? Er hätte sie wirklich gebraucht, heute, an diesem schwarzen Tag. Enttäuscht stieg er wieder aufs Rad. Die Linkenheimer Allee – schnurgerade und fast genau nach Norden durchschnitt sie den Hardtwald. Er schnaufte die Brücke über den Adenauerring empor, ignorierte den dichten Verkehr unter sich, nutzte den Schwung der Abfahrt auf der anderen Seite. Weiter, weiter. Ohne Ziel und doch immer geradeaus.
Er fuhr wie betäubt, wie in Trance, trat und trat, sehr langsam, müde. Alle anderen Radler waren schneller, überholten ihn. Egal, sollten sie doch. Es war ihm wurst.
Er fand eine Bank, stieg ab, lehnte sein Rad an die Rückenlehne und setzte sich. Eigentlich war überhaupt kein Parkbankwetter, und die dünne grünliche Algenschmiere auf den rot gestrichenen Latten würde bestimmt seine Kleidung verschmutzen, aber es war ihm egal. Dem Ersten Kriminalhauptkommissar Oskar Lindt war mit einem Mal alles völlig schnurz. Irgendwie würde er dieses Verfahren, das die spindeldürre Eiserne Lea mit ihrem scharf
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