Faeden des Schicksals
hören. Als sie den Kopf drehte, sah sie nur einen Schatten.
Ungläubig schüttelte sie den Kopf und kniff die Augen zusammen. Einen kurzen Augenblick sah sie einen gewaltigen Schemen, der über den Rasen fegte, dann teilte er sich. Zwei Gestalten standen sich gegenüber. Der Mörder auf der einen Seite, doch wer war der andere?
Es musste ein Mann sein. Statur und Größe ließen darauf schließen. Mehr konnte sie nicht erkennen. Er wirkte wie eine dunkle Woge. Dann sprang er nach vorne, auf den Gegner zu und riss ihn erneut zu Boden. Der Mantel, den er trug, flatterte dabei um ihn, als wäre er ein eigenständiges Wesen.
Wahrscheinlich war das der Grund, warum sie nichts Genaueres erkennen konnte, fuhr es ihr durch den Kopf. Dann raffte sie sich auf. Einen Moment war sie unschlüssig. Alles in ihr rief danach, die Beine in die Hand zu nehmen und zu fliehen.
Und ihren Retter allein zu lassen? Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. Sie starrte immer wieder zu den Kämpfenden und zurück zur Straße. Sie konnte es vielleicht schaffen, sie konnte zu den Häusern gelangen und –
„Lauf!“, die Stimme explodierte in ihrem Kopf. Sie war es , die ihren Körper zur Reaktion zwang.
Auf der Stelle fuhr Caitlyn herum und lief. Das schlechte Gewissen schien wie abgestellt, obwohl sie wusste, dass sie es haben sollte. Wollte sie ihn retten, würde sie Hilfe benötigen. Das war ihre und seine einzige Chance.
Ein unmenschlicher Schrei erklang hinter ihr und ein letzter Spurt brachte sie zu den ersten Gebäuden. Die Hochhäuser ragten vor ihr in die Höhe, schienen eine Mauer zu bilden. Wie wahnsinnig lief sie zu einer Tür und begann wild auf alle Klingelknöpfe zu drücken. Irgendjemand musste ihr aufmachen. Auch wenn es spät war und sie –
„Ja?“, drang eine verschlafen klingende Stimme aus der Sprechanlage.
„Helfen Sie mir, bitte!“ Caitlyns Stimme zitterte und überschlug sich fast. Ihr Atem ging stoßweise. „Mord! Hier wurde jemand getötet, rufen Sie die Polizei!“ Ein Geräusch erklang hinter ihr und ihr Kopf ruckte panisch herum.
War er hier? Hatte er auch den anderen getötet und wollte nun sie?
„Hilfe!“, schrie sie los und drückte erneut wie verrückt auf sämtliche Klingeln.
Ein Knacken erklang, eine Gestalt tauchte auf, kam auf sie zu.
Caitlyn spürte, wie ihr die Augen aus den Höhlen traten. Ihr Blick war wie gebannt auf die Gestalt gerichtet.
„Hilfe!“ Erneut hallte ihr Schrei durch die Nacht. Sie hörte neben sich ein Knacken in der Sprechanlage, aber niemand betätigte den Türöffner.
„Bitte helf …“ Alles in ihr erstarrte.
„Beruhigen Sie sich.“ Einige Finger legten sich auf ihren Mund. Caitlyn gaffte den Mann vor sich an. Er war älter, vielleicht Mitte fünfzig. Aber sie konnte sich auch täuschen. Seine schulterlangen, weißen Haare waren wellig und ließen ihn aufgrund der Farbe älter wirken. Im Gesicht trug er einen Dreitagebart und einige Strähnen wehten im Wind. Seine Kleidung wirkte … altmodisch. Caitlyn fiel kein besseres Wort dafür ein. Er hatte eine schwarze Weste an, darunter sah sie ein graues Hemd. Etwas befremdlich war die Kombination mit einem Schlapphut mit breiter Krempe und einem langen Ledermantel zu einer jeansähnlichen Hose.
„Keine Angst.“ Er strich ihr sanft über die Wange. Caitlyn konnte nichts weiter tun als ihn anzusehen. „Ein Faden zerreißt nicht einfach.“
„Was …?“, begann sie verwirrt, dann hörte sie hinter sich ein leises Klacken. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte nach hinten. Die Tür war aufgegangen. Hatte jemand den Öffner betätigt? Caitlyn sah nach vorne.
Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte sich der Fremde um, tippte sich an den Hut und verschwand in der Nacht. Schritte waren zu hören. Einige Bewohner des Erdgeschosses kamen an und starrten verwirrt zu ihr.
„Haben Sie … geklingelt?“, fragte jemand stockend.
„Ja.“ Endlich konnte sich Caitlyn aufraffen. „Haben Sie die Polizei gerufen?“
„Sicher .“ Eine der Frauen hob mürrisch eine Augenbraue und Caitlyn wusste, dass sie wahrscheinlich nur deswegen die Polizei gerufen hatte, weil Caitlyn ihren Schlaf gestört hatte und nicht wegen dem, was sie gesagt hatte.
Inzwischen waren einige der Bewohner aus den oberen Stockwerken hinzugekommen. Caitlyn war das Zentrum der Aufmerksamkeit.
„Sind Sie verrückt?“, hörte sie die Stimme einer älteren Frau. „Sie können doch nicht mitten in der Nacht einen solchen Aufruhr
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