Fänger, gefangen: Roman
Ferienlager waren. Da wird man zu Blutsbrüdern. Kein Scheiß. Fürs Leben. Nein, im Ernst, ich erklär euch nur, was wir früher gemacht haben. Als Hintergrundinformation. Keiner von uns glaubt mehr an diesen Blutsbrüderquatsch. Außer vielleicht Nick, und dem will ich es nicht verderben.
Während ich Meredith dabei beobachte, wie sie ihr Haar über die Schulter zurückstreicht, fällt mir ein, warum ich mich von Leonard distanziere. Er ist ein möglicher Rivale. Abgesehen von seinem momentanen Akneproblem sieht er auf diese altmodische Art gut aus. Seine Familie hat Geld. Sein Dad ist ein einflussreicher Senator – zumindest behandelt ihn jeder so. Ich meine, man sagt doch immer, Politiker wären die Macher und Alphatypen. Vielleicht bin ich deswegen nicht scharf darauf, Leonard als Freund zu bezeichnen.
Außerdem will ich nicht, dass Meredith einen falschen Eindruck von mir bekommt. Namedropping ist keine Tugend. Da brauch ich nicht mal Dad, um das zu wissen. Keiner mag Typen, die so tun, als hätten sie den Platz direkt neben dem König; das sind nur Schleimer und Schwätzer.
Sie tunkt noch einen Chip ins Glas und hält ihn mir hin, mit einer Hand darunter, um kleckernde Soße aufzufangen. »Hast du selbst mit den Ärzten gesprochen?«
»Das macht alles meine Mom. Sie hat tonnenweise Zeug über AML gelesen.«
»Du kannst trotzdem selbst fragen. Du bist doch der Patient.«
Eine Diskussion über meinen Gesundheitszustand ist nicht gerade das, was ich mir für diesen Abend vorgestellt habe. »Können wir über was anderes reden?«
Sie stößt ihre Schulter leicht gegen meine. »Tschuldige. Das war ziemlich grob. Du willst mir alles über die Flora und Fauna von Virginia erzählen, und ich stelle neugierige Fragen.«
»Ist schon okay, wirklich. Ich bin es nur nicht gewohnt, mit jemand anderem als meinen Eltern darüber zu sprechen. Oder überhaupt darüber zu sprechen.«
Als der Pier zu schwanken beginnt, sehen wir, dass Mack auf uns zukommt, einen weißen Umhang aus Mondlicht auf den Schultern. Er lässt sich neben mir auf den Steg plumpsen und flüstert: »Juliann hat in Albemarle einen Freund.«
»Hat dich das jemals abgehalten?«
»Er ist Kapitän des Debattierteams.«
»Na und? Du bist hier, und er ist dort.«
Mack futtert die Chips wie eine Maschine. Es ist ein bisschen asselig. Vom Ende des Stegs höre ich Juliann singen. Ein Mädchen, das vor Leuten singen kann, die sie kaum kennt, ist ganz schön romantisch – wie aus diesen Büchern im Supermarkt, auf denen immer so ein muskulöser Mann eine vollbusige Frau in die Arme zieht. Wieso merkt Mack nicht, dass Juliann sehnsüchtig auf einen Kuss im Mondschein wartet?
Als Meredith in ihrem Pulli verschwindet und mit den Armen in der Luft rudert, um ihn über den Kopf zu ziehen, gebe ich Mack ein Zeichen, dass er wieder zu Juliann gehen soll.
»Verpiss dich, Kumpel«, forme ich lautlos mit den Lippen. Das ist völlig untypisch für mich, aber ich hab euch ja gesagt, wie wenig Zeit ich hab.
Er braucht zwei Minuten, um Juliann zu überreden, mit ihm ins
7-Eleven
zu gehen und Eis zu holen, und zwei weitere Minuten, um ihre Hälfte der Angelsachen zusammenzupacken. Er ist ein Schnell-Checker. Und er ist ein toller Kumpel, der für einen Freund alles tun würde.
6
»Wolltest du auch Eis essen?«, fragt Meredith, als die beiden weg sind, steht aber nicht auf.
»Tatsächlich habe ich Zutrittsverbot zu öffentlichen Orten wie Minimärkten«, sage ich. »Aber ich bring dich hin. Wenn du willst.«
Sie sieht mich verstört an. »Womit hast du das denn verdient?«
»Was? Ach, nicht so wichtig. Das ist nur wegen der ... zu viele Keime«, erkläre ich.
»Oh.«
Ich merke, dass ich anfange, ihr leidzutun, was zum einen sehr nett ist, zum anderen aber auch ziemlich ätzend, weil sie mich dann nicht als dynamischen Jungen mit tollen Ideen wahrnimmt.
Ihre Worte gehen in der Nachtluft unter wie übers Wasser geflitschte Steine, die es nicht schaffen. »Es muss hart sein, damit klarzukommen.«
»Meistens ignoriere ich es.«
»Wie steht’s mit Brücken?«, fragt sie. »Du hast doch kein Zutrittsverbot zu Brücken, oder? Die da sieht keimfrei aus.« Sie deutet auf die Brücke über unseren Köpfen, die sich als breiter Betonbogen über den Rappahannock River spannt, geschmückt mit einem steten roten Band aus Rücklichtern.
»Das ist nur eine Illusion.«
»Die muss doch irgendwo hinführen?«
»Nur nach Warsaw.«
»Bist du schon mal
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