Fänger, gefangen: Roman
ersten Schultag keine Chance mehr.
Im Angelkoffer herrscht ein fürchterliches Durcheinander. Nachdem sie mit angemessenem Ekel die Würmer studiert haben, beobachten die Mädchen, wie Mack die Haken damit bestückt, während ich den Koffer sortiere. Ich kann solche Art von Unordnung nicht ausstehen, warum, weiß ich auch nicht. Das war schon als kleiner Junge bei mir so. Der Koffer hat eingebaute Abteile, verdammt. Man muss die Sachen nur der Größe nach in die passenden Fächer stecken, das ist alles. Wie schwer kann das wohl sein? Mack und ich haben deswegen schon öfter gestritten, aber noch nie hat es mich so sehr gestört wie heute.
Als ich so weit bin und meine eigene Leine auswerfe, hat Juliann ihren ersten Fisch gefangen, und die Mädchen starren ihn im Eimer an. Jetzt, wo die Sonne untergeht ... und untergeht ... und weg ist, wirkt die Stelle am Ende des Bürgersteigs, wo der Pier anfängt, im Licht der Straßenlaterne wie eine schmutzige Pfütze.
»Der sieht so weich aus.« Bevor ich sie warnen kann, steckt Meredith ihre Hand ins Wasser, um den Katzenwels zu berühren. Als sie gestochenwird, zieht sie die Hand schnell wieder zurück, schreit aber nicht. Ich bin beeindruckt.
»Er hat mich gebissen«, sagt sie nur und wickelt den verletzten Finger in ihr Oberteil, wobei sie an der Taille noch mehr braune Haut enthüllt.
»Gestochen. Die haben Stacheln an den Flossen. Wenn sie sich bedroht fühlen, sondern sie irgend so ein komisches Protein ab, das sich wie ein fetter Bienenstich anfühlt. Saug an deinem Finger.«
Sie zögert kein bisschen und steckt sich sofort zwei Finger in den Mund. Mit der anderen Hand wischt sie sich kurz über die Augen. Ich weiß aus Erfahrung, wie weh das mit dem Finger tut.
Mack entschuldigt sich. »Wir hätten dir sagen sollen, dass du ihn zurückwerfen sollst. Aber es war dein Erster.«
Juliann scheint es nicht im Mindesten zu kümmern, dass ihre Schwester verletzt ist. Sie rutscht auf dem Pier dichter an Mack heran und starrt zu dem breiten Streifen Mondlicht, der jetzt auf dem Wasser aufleuchtet.
»Das ist perfekt«, sagt sie und seufzt.
Meredith sieht in den Eimer. »Kann man Katzenwelse essen?«
»Du willst dich wohl rächen, hm?« Ich mag sie lieber als ihre Schwester.
»Ja.«
»Hier, halt meine Angel, ich mach dir noch einen Köder dran. Halt dich an Blaufische, die schmecken besser.«
»Was ist mit Krebsen?«
»Die fängt man in Drahtkörben, sogenannten Krebsreusen.«
»Oh.« Sie lächelt auf eine Art und Weise, die mich ganz kribbelig macht. »Ich hab noch nie am Wasser gelebt.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal«, sagt Mack. Ich könnt ihm eine reinhauen.
Meredith ist höflich genug zu lachen, während die meisten anderen Mädchen einen Anfall kriegen, wenn ein Junge sich einen Scherz aufihreKosten erlaubt. Ich kann euch sagen: Normalerweise bin ich bei Mädchen echt nervös, aber mit Meredith ist es ganz leicht. So, wie es bei Phoebe Caulfield wäre, wie Holden sie beschreibt – man kann gut mit ihr reden. Gut mit ihr zusammen sein. Es ist schön. Ich meine das ganz positiv, nicht so banal. Sie ist nicht wie die meisten Mädchen, die ich kenne, die andauernd auf sich aufmerksam machen, als würde kein Junge sie bemerken, wenn sie nicht rumquieken und eine Show abziehen. HC würde Meredith mögen. Wahrscheinlich würde er sie
gute Meredith
nennen und zu einer Show am Broadway einladen.
Nachdem wir vier oder fünf Katzenwelse zurückgeworfen haben und im Eimer ein fünfundzwanzig Zentimeter langer Augenfleck-Umber schwimmt – meiner –, steht Mack auf. Juliann auch.
»Ich bin am Verhungern«, sagt er.
Meredith gibt mir ihre Angel. Sie zieht einen Pulli aus dem Rucksack und legt ihn sich um die Schultern. Blassgelb auf dieser Bräune.
Wow!
Vom Wasser her zieht eine Brise auf und jagt die Mücken landeinwärts. Eine kleine Nachtmusik, wie Dad immer witzelt. Ich gebe ihr die Angel zurück. Mit geübtem Griff öffne ich das Salsa-Glas und stelle es auf den Steg. Mack fischt die rote Lakritze aus dem Rucksack und geht mit der Tüte und einer kichernden Juliann zum Ende des Stegs. Er kommt nicht mehr zurück, um sich Salsa-Dip zu holen, also kann er nicht so hungrig gewesen sein. Jedenfalls nicht auf Salsa.
Als Meredith und ich uns zum Essen hinsetzen, berühren sich unsere Knie. Jetzt weiß ich, dass diese Zeitschriften beim Arzt die Wahrheit schreiben. Frauen rasieren sich jeden Tag die Beine. Obwohl ich Juliann kaum kenne und sie wie jedes
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