Fänger, gefangen: Roman
niemand rein oder raus. Aus dem Keller dringt keine Musik. Mack klopft von innen ans Wohnzimmerfenster.
»Deine Mutter hat angerufen, dass sie noch ’ne Viertelstunde braucht. Bist du sicher, dass du nicht reinkommen willst? Mom hat Brownies gebacken.«
»Nein.« Ich fasse es nicht, dass ich so nah dran bin und keine zehn Minuten mit Meredith haben kann. »Danke«, fällt mir dann noch ein. Das kam etwas verspätet, aber Mack ist sowieso schon weg.
Macks Mutter bringt eine Platte mit Kuchenstücken und ein Glas Milch in einem dieser doppelwandigen Gläser, die nicht beschlagen.Jeder, der am Fluss wohnt, hat diese schwitzfreien Gläser. Als Mack und ich ungefähr zehn waren, zerschlugen wir eins mit einem Stein, um zu sehen, was dazwischen ist. Aber es war nur Luft, wie enttäuschend. Wir suchten damals nach einer Methode, wie wir mit Badehosen zur Schule gehen könnten, um uns in der Pause zu verdrücken und im Fluss zu schwimmen, ohne dass man uns hinterher mit nassen Jeans erwischt. Der Gedanke, dass diese Gläser mit irgendeiner Flüssigkeit gefüllt sein könnten, die Feuchtigkeit absorbiert, kam uns beiden fast gleichzeitig.
Das ist bei Mack und mir manchmal so. Es ist ein bisschen unheimlich, wie bei Stephen King, aber es gefällt mir, dass meine Gedanken anscheinend nicht ganz und gar schräg sind. Es ist auf bizarre Weise tröstend zu wissen, dass da noch jemand ist, der ungefähr genauso denkt wie ich, auch wenn es nur manchmal passiert.
Das Experiment funktionierte also nicht, und ich musste Fenster putzen, um Mom das Glas zu bezahlen, das wir zerbrochen hatten. Nach ein bisschen heimlicher Internetrecherche bei Mack fanden wir raus, dass der Typ mit dem Glaspatent das Geld nur so scheffelt. Dann hatte Nick die brillante Idee, dass wir doch die Badehosen ausziehen und nur in unseren Jeans zurück zur Schule gehen könnten. Au, Mann. Manchmal haut es mich fast um, wenn er so praktische Lösungen findet.
Mrs Petriano wartet, um sicherzugehen, dass ich wenigstens ein Stückchen Kuchen esse. »Deine Mom klang gar nicht gut am Telefon, Daniel. Gibt es irgendwas, das ich tun kann, um zu helfen?«
»Erfinden Sie ein Heilmittel gegen Krebs.«
Sie geht wieder rein. Ich bin ein Arschloch. Obwohl ich keinen Hunger habe, esse ich vier Brownies – eine Art Wiedergutmachung für meinen Spruch. Als Mom angefahren kommt, hat sie Nick im Auto. Sie sagt nicht mal Hallo oder fragt nach den Tests.
Von hinten sehe ich über den Rückspiegel zu Nick, der vorne sitzt, und hebe fragend die Augenbrauen. Nick antwortet schweigend: Auch er hebt die Augenbrauen. Eine Warnung, dass Mom in Rage ist. MeinMagen zieht sich so stark zusammen, dass ich Angst habe, ich könnte mich auf dem Heimweg übergeben.
»Mom, können wir irgendwo anhalten und eine Cola kaufen?« Manchmal hilft das.
Da bricht sie in Tränen aus.
8
Wie sich herausstellt, ist die Hexe vom Jugendamt mit schwarzer Limousine sauer, weil sie denkt, dass meine Eltern nicht kooperieren. Die Schulbehörde schickt einen gönnerhaften einseitigen Beschluss zu der Sache mit dem Schulbesuch. Sie sagen, ich sei bis auf Weiteres vom Unterricht befreit. Aber das Härteste kommt noch, deshalb ist meine Mutter auch so aufgebracht: Sie haben noch keine endgültige Entscheidung darüber getroffen, ob meine Eltern gegen das Gesetz verstoßen oder nicht.
Ein, zwei Wochen oder so bleibt alles ruhig. Dad kocht Abendessen, weil Mom praktisch in der Bücherei wohnt und da das kostenlose Internet nutzt, um über alles nachzuforschen, was Miss T. Undertaker an alternativen Heilmethoden vorschlägt. Sie kommt spät abends nach Hause, und wenn unser kleines Motorboot dann mit Aussetzern vom Anleger zum Hausboot tuckert, klingt es wie eine zerkratzte CD. Ich höre, wie meine Eltern in ihrer Kabine durch die Ausdrucke blättern. Alles dreht sich um die Begriffe Erfolgsrate und Kosten. Die Namen der Behandlungszentren erinnern an Titel christlicher Erbauungsliteratur: Zuflucht, Friedenshoffnung, Kreuzweg.
Aus heiterem Himmel, so scheint es, reicht der Bezirksstaatsanwalt dann plötzlich Klage gegen meine Eltern wegen Vernachlässigung ein, eine gezielte Anklage bei Gericht wegen rechtswidrigen Verstoßes gegen das Gesetz Nummer soundso, wie es in der Benachrichtigung steht, die an unserer Kajütentür steckt. Sie wartet auf uns, als wir von der wöchentlichen Untersuchung der weißen Blutkörperchen im Riverside zurückkommen. Das Riverside Hospital ist das führende Krankenhausin
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