Fänger, gefangen: Roman
im Geiste zusammengetragen habe. Dann wird Walker bei einem Gerichtstermin aufgehalten, und ich muss eine Stunde lang in einem Vorzimmer warten, das nach Zigaretten und Lederpolitur und diesen komischen schnörkeligen, getrockneten Pflanzenstängeln stinkt, die nach der Medizin riechen, die Mom mir früher immer auf die Brust geschmiert hat, wenn ich Husten hatte. Als Walker reinschneit, bin ich schon reichlich genervt und kurz vorm Kotzen.
Er bleibt abrupt im Türrahmen stehen und dreht den Kopf zu seiner Empfangssekretärin, während er mich weiter anstarrt, diesen Fremden in seinem Revier. Auf seiner Krawatte prangt ein großer Fleck Ketchup oder Barbecuesoße.
»Mr und Mrs Landons Sohn«, sagt sie. »Daniel.« Als wäre mein Name ein Nachtrag, kaum von Bedeutung, sobald das Verwandtschaftsverhältnis geklärt ist.
»Ah, Daniel Landon.« Als hätte er sein ganzes Leben darauf gewartet, mich zu treffen. Was für ein Spacko! Angeblich kommt er gerade vom Gericht – er erwähnt das, damit ich wohl beeindruckt bin, weil er so wichtig wäre – und nickt der Sekretärin zu, als hätte er die ganze Zeit gewusst, wer ich bin. Das fängt nicht gut an.
In seinem Büro – das ein einziger Saustall ist mit Kaffeebechern zwischen Akten und losen Blättern auf den Stühlen – hebt er einen Papierstapel hoch, packt ihn auf einen anderen Stuhl und bedeutet mir, mich hinzusetzen. Als er seinen Aktenkoffer mit Wucht auf die Schreibtischunterlage schwingt, seufzt er tief und erleichtert auf. Ich soll wohl denken, der ist so schwer, weil er ein so endfähiger Anwalt ist. Er klappt den Deckel hoch wie eine dieser Kunststoffscheiben im Gefängnis, die den Gefangenen davon abhalten sollen, dem Besucher die Kehle aufzuschlitzen – eine klare Abgrenzung seines Reviers. Als er anfängt, Akten auszupacken, sehe ich die kahle Stelle auf seinem Kopf und feine graue Haarbüschelchen. Implantate?
»Was kann ich für dich tun?« Er spricht mit gefakter, schleimiger Stimme. Holden würde einfach abhauen.
Ich rede bewusst langsam, weil ich ihm zeigen will, wie vernünftig und ruhig ich bin. »Kann ich offen zu Ihnen sein?«
»Natürlich. Alles, was du in einem Anwaltsbüro erzählst, ist streng vertraulich.«
Ich habe mich ein bisschen informiert – in meiner ganzen freien Zeit – und weiß, dass das nicht stimmt. Die Schweigepflicht gilt nur für Klienten, und das bin nicht ich, das sind meine Eltern. Aber es wäre albern, jetzt darüber zu diskutieren, wo es doch eigentlich um Wichtigeres geht. Aber das ist sowieso nicht das, was ich meinte.
»Schieß los«, fordert er mich hinter seinem aufgeklappten Aktenkoffer mit gelangweilter, tonloser Stimme auf, die mir verrät, dass er dabei etwas liest.
»Bezahlen meine Eltern Sie nicht stundenweise?«
Er blickt mich über die Papierstapel hinweg an. »Äh ... ja, aber ...«
»Dann warte ich, bis Sie mit Lesen fertig sind.«
Er schließt den Koffer und sieht mich böse an, aber wenigstens hab ich jetzt seine volle Aufmerksamkeit. »Was du kannst, kann ich schon lange«
,
hat meine Großmutter immer gesagt. Er wollte mich einschüchtern, und ich hab ihn dabei erwischt. Wir sind quitt. Und das weiß er.
»Meine Eltern haben bald kein Geld mehr, und es ist nichts entschieden.«
»Das stimmt so nicht ganz«, sagt Walker. »Ihnen gefällt die Entscheidung des Gerichts nur nicht.«
Ich kann ihm nicht sagen, dass alles, worüber meine Eltern zu Hause sprechen, der Umzug nach Mexiko ist, wo ich eine neuartige Behandlung kriegen soll, eine Kombination aus Kräutern und spezieller Diät, die Miss T. Undertaker empfiehlt.
»Wie lautet denn die Entscheidung des Gerichts«, will ich wissen. »Können Sie mir das allgemein verständlich erklären?«
Nach kurzem Zögern, während dessen ich mich frage, ob er seinen Kaugummi runterschluckt, legt Walker los. »Die Kurzfassung? Du musst die empfohlene Chemotherapie machen, danach Bestrahlung und dann zur Schule zurückkehren. Zu deinem normalen Leben. Das normale Leben eines ...« – er öffnet einen ziemlich dicken Ordner und überfliegt das Deckblatt – »... Sechzehnjährigen.«
»So lautet die brillante Entscheidung des Gerichts?« Es fällt mir schwer, sitzen zu bleiben. »Das klingt nicht gerade legal.« Ich merke, dass mein Bein vor unterdrückter Wut wie wild herumzuckt. »Mein normales Leben gibt es nicht mehr. Und das normale Leben eines Sechzehnjährigen ist nicht
mein
Leben. Wenn Sie richtig recherchiert hätten, wüssten Sie, dass
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