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Fänger, gefangen: Roman

Fänger, gefangen: Roman

Titel: Fänger, gefangen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Collins Honenberger
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meisten Leute sind nett. Ich meine, wir sind ja erst seit August hier.«
    Diese Stimme kenne ich. Und in einem so kleinen Bezirk wie Essex können nur soundso viele Schüler neu sein. Es ist Meredith. Meine Meredith. Sie redet langsam, als hätte sie sich tatsächlich noch nicht ganz entschieden und würde die Frage ernsthaft überdenken. Kein Kichern, sie ist nicht der alberne Cheerleader-Typ. Und klingt – selbst aus meiner beschränkten Erfahrung – nicht so, als würde sie flirten.
    Da ihre Stimme durch die Sonne und den kühlen Schatten quasi gefiltert wird, klingt sie fast ein bisschen mystisch, so wie Musik von Ravi Shankar aus den Siebzigern. Ich halte die Luft an, gierig auf das nächste Wort, den nächsten Gedanken. Sie haben mich bestimmt noch nicht bemerkt.
    Der Junge spricht leise, vielleicht dicht an ihrem Ohr. »Es haben dich doch sicher schon hundert Typen gefragt, ob du mit ihnen ausgehen willst.«
    Es gibt nur einen Kerl, den ich kenne, der so schmierig ist und sich so mächtig ins Zeug legt.
    »
Buh!
« Ich springe vom Grabstein hoch und sehe gleich, dass ich mit der Vermutung über meinen Gegner richtig lag. Linkisch improvisiere ich einen kleinen Tanz. »
Ta-da

    Drei Gräber weiter, neben einem der Familiengräber, fährt Meredith erschreckt herum und lächelt dann, als sie mich erkennt. Sie klettert auf eine andere Grabplatte und tanzt ebenfalls.
    »
Tappa-di-tappa-da
.« Lachend streicht sie die Haare über die Schultern nach hinten. Sie schwingt die Beine vor und zurück wie eine Puppe, wie ein Spiegelbild von mir auf Bens Grab.
    Der Junge neben ihr reagiert nicht so schnell. Er lächelt noch nicht mal, der alte Schleimer Leonard Yowell. Meine Mutter wäre schockiert.Beim Abendessen schimpfen meine Eltern die ganze Zeit über die Leute vom Jugendamt. Ich schätze, sie denken, dass mir seit meinem Gespräch mit dem Anwalt alle Fakten bekannt sind. Aber Nick spielt den Action-Man und kommt mir dazwischen, bevor ich bestätigen kann, was sie andeuten: dass Walker tatsächlich ein Volldepp ist.
    »He, Leute«, sagt Nick und schluckt eine ganze Tomatenscheibe wie ein Feuerschlucker im Zirkus. Er liebt seine Vitamine. »Ich habe die Lösung. Sie können keine Gerichtspapiere mehr zustellen, wenn ihr nicht da seid, um sie anzunehmen. Und dann können sie Daniel auch nicht zur Chemo schicken. Warum legen wir nicht ab? Das ist schließlich ein Hausboot.« Die letzte Silbe schreit er fast.
    Es ist das erste Mal, dass er sich direkt zu meiner Situation äußert. Das erste Mal, dass ich denke, er weiß, dass die Sache ernst wird. Aber ich weiß auch, dass er ein Clown ist, also spiele ich mit.
    »Das gefällt mir«, sage ich. »Beantragt doch Hausunterricht für uns beide, für Nick und mich. Ihr habt sowieso schon Ärger wegen einem, also könnt ihr auch gleich alles riskieren. Und dann fahren wir mit diesem Kübel um die Welt. Was Lehrreicheres gibt’s doch gar nicht!«
    Dad legt Mom die Hand auf den Arm, damit sie sitzen bleibt, in sicherer Distanz vor diesen verrückten Jungen. Dabei ist er der mit den roten Haaren. »Habt ihr Jungs keine Hausaufgaben zu machen?«
    In der Kabine wirft Nick sich in seine Koje. Ich will meinen Fuß auf die Leiter stellen, verfehle sie aber. Meine ganze linke Körperhälfte schwingt herum und knallt gegen den Bettpfosten.
    »Scheiße.« Ich versuche es wieder und schaffe es nicht. »Verdammte Scheiße.«
    Inzwischen peilt Nick, dass ich das nicht spiele. Er rappelt sich hoch und streckt die Hände aus, um mir zu helfen. Ich schlage sie weg.
    Vor lauter Panik mach ich auf Jammerlappen-Krüppel. »Mehr, Sir, bitte, Sir, kann ich noch mehr haben?«
    »Vielleicht wird es Zeit, die Kojen zu tauschen«, sagt er und kann kaum den Schreck in seiner Stimme verbergen, die in den Vokalen schon kiekst.
    »Du bist so was von ätzend!« Ich boxe ihm mit der Faust in den Magen, hoch genug, dass er bewegungsunfähig ist, aber nicht zusammenbricht. Immerhin hat Joe mich jahrelang in so was trainiert. »Zeit, die Kojen zu tauschen? Das hast du wohl schon seit Wochen geplant, wie? Wolltest nur den richtigen Moment der Schwäche abpassen, hm? So kommt die Wahrheit ans Licht!«
    »Mann, ich wollte doch nur helfen.« Er wirft sich wieder in seine Koje. »Wenn du nur zu viel getrunken hast – schön! Behalt deine verdammte Koje. Aber lass morgen Abend den Scotch weg.«
    Keiner lacht über seinen armseligen Versuch, witzig zu sein. Ich streife meine Schuhe und Socken ab. Dann alles bis

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