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Fänger, gefangen: Roman

Fänger, gefangen: Roman

Titel: Fänger, gefangen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Collins Honenberger
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Koffer wieder wegbringt. Das ist nicht leicht. Ich könnte mir vorstellen, dass sie vielleicht nur so tut, als würde sie ihm glauben, eine gerissene Methode, um ihn in New York zu halten, ihn zu zwingen, sein Versprechen zu halten, nach Hause zu kommen. Mädchen sind in dieser Art von Täuschung viel besser.
    Nehmt Meredith. Wenn sie mich abends anruft – ihre Mutter erlaubt ihr inzwischen drei Anrufe pro Woche bei einem Jungen –, redet sie die ganze Zeit über Sachen, die wir nächsten Sommer machen könnten oder dann, wenn ich wieder in die Schule zurückkäme. Für ein so helles Mädchen stellt sie sich ziemlich dumm. Die Chancen, dass ich einen weiteren Sommer erlebe, stehen nicht gut. Ich hab allerdings nicht den Nerv, sie darauf hinzuweisen, weil ich mir auch gerne solche Dinge vorstelle. Und das Letzte, was ich will, ist streiten. Ihre Anrufe – wo sie in lustigen, endlangen Sätzen monologisiert – sind wie eine Rettungsleine aus meinem abgewrackten Leben. Sie redet und redet über Sachen in Geschichte und über die Cliquen in der Schule und Fußballspiele, und ich höre einfach nur zu. Es ist die einzige Zeit am Tag, wo ich nicht an meinen nutzlosen Körper denke und daran, dass er meine Familie zerstört.
    Für Holden ist das Phoebe. Seine Rettungsleine. Alles andere ist Scheiße, aber Phoebe ist da, das fröhliche, vorhersehbare Kind, das sich freut, ihren großen Bruder zu sehen. Natürlich gefällt ihm, wie sie seinen ganzen Murks, den er baut, während er gleichzeitig vorwärtskommen will, hinnimmt, ohne ihn zu verurteilen. Ihr Vertrauen in ihn. Und ihre Überzeugung, dass alles wieder gut wird. Er bewundert ihr Vertrauen, weil er es selbst nicht hat. Das verstehe ich. Nick ist zum Teil genauso, auch wenn ich ihm das nie ins Gesicht sagen würde. Er braucht nicht noch mehr Lob und Anerkennung zu den unzähligen Fußballpokalen, um sein Ego aufzuplustern.
    Auf jeden Fall wird aus ihm was werden, wenn ich nicht mehr da bin. Wenn er über was reden muss, hat er Joe. Seinen anderen großenBruder. Joe ist wie ein Sicherheitsnetz. Er wird Nick helfen, alles Wichtige zu lernen. Wie man es vermeidet, so wie Dad seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und so wie Mom bei der kleinsten Kleinigkeit zusammenzubrechen. Meine Gedanken kreisen immer wieder um Phoebe, die ihren Koffer schleppt, und Nick, der eine Weltreise vorschlägt, bis sich alles in einen Traum über das Bermudadreieck und einen endlos weiten grünen Ozean verwirbelt. Ich schlafe.
    Meine Eltern streiten das ganze Wochenende über den Mistkerl Walker und die Hexe vom Jugendamt. Und über Mexiko und die brandneue Heilmethode, von der Miss T. Undertaker Mom erzählt hat. Nicks Vorschlag zu fliehen, ist wie die Spitze des Eisbergs. Dad fängt damit an, dass er mit dem Boot flussabwärts fahren will. »Nur ein kleines Abenteuer mit Übernachtung«, sagt er. Nicht, dass wir den Fluss nicht gut kennen würden, wo Mom doch in Urbanna aufgewachsen ist und so. Aber ihm gefällt die Idee eines Familienausflugs – ein Roadtrip, nur eben nicht auf Rädern, sondern auf Wellen. Wahrscheinlich ist er deswegen so unternehmungslustig, weil Nick am Samstag ausnahmsweise mal kein Fußballspiel hat und weil gerade ein Scheck für eine große Lektoratsarbeit gekommen ist.
    »Wir könnten nach dem Mittagessen losfahren, dann hast du mehr Zeit, alles vorzubereiten«, sagt Dad.
    Mom ist es gewohnt zu widersprechen, sie kann nicht anders. »Ich hasse es, Geld für das Benzin zu verschwenden.«
    Darauf ist er vorbereitet. »Eine Auszeit würde allen gut tun. Mal eine andere Landschaft sehen, ein paar Fische fangen, ein bisschen lachen. Ein warmes Wochenende wie dieses wird es so bald nicht mehr geben. Komm schon, tun wir’s für die Jungs.« Durch das offene Fenster höre ich das Klimpern von Dads Löffel im Kaffeebecher und Moms Schweigen, während sie krampfhaft nach einem Gegenargument sucht.
    Nick in seiner Koje stöhnt, weil Dad uns als Köder einsetzt. Ich bin schon länger wach, ringe aber noch mit mir, die warme Decke zurückzuschlagenund aufzustehen. Oktobermorgen auf dem Wasser sind ganz schön frisch, bevor die Sonne in die Gänge kommt.
    »Red!«
    Dad lacht mit ihr, weil sie seine Masche durchschaut hat, aber damit ist die Diskussion für sie noch nicht beendet.
    »Hast du sie denn überhaupt gefragt?«, will sie wissen. »Wahrscheinlich wollen sie gar nicht fahren. Wenn sie die Wahl haben, verbringen sie das Wochenende doch lieber mit ihren Freunden.

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