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Fahr zur Hölle Mister B.

Fahr zur Hölle Mister B.

Titel: Fahr zur Hölle Mister B. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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eines, sondern zwei Messer, die an meinen Schwanzwurzeln säbelten und die Muskeln durchtrennten, sodass mein Blut unaufhaltsam aus den immer weiter aufklaffenden Wunden strömte.
    »Es reicht!«
    Der Befehl war laut genug, dass er das Kreischen und Gelächter des Pöbels übertönte und sogar verstummen ließ. Zum ersten Mal seit geraumer Zeit stand ich nicht mehr im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Der verstummte Pöbel sah sich mit gezückten Klingen und Knüppeln um, wer die Worte ausgesprochen hatte.
    Es war Quitoon. Er kam aus denselben Schatten, in denen er Minuten zuvor verschwunden war, und hatte das Visier seiner Rüstung heruntergeklappt, um seine dämonischen Gesichtszüge zu verbergen.
    Der Pöbel zeigte einen gewissen Respekt vor ihm, obwohl sie 13 oder mehr waren und er allein. Möglicherweise nicht für seine Person, sondern für die Macht, die er repräsentierte – die des Erzbischofs.
    »Ihr zwei«, sagte er zu den beiden, die versuchten, mir die Schwänze zu nehmen. »Geht fort von ihm.«
    »Aber er ist ein Dämon«, sagte einer der Männer leise.
    »Ich sehe, was er ist«, antwortete Quitoon. »Ich habe Augen im Kopf.«
    Ich fand, dass seine Stimme eigentümlich klang. Es schien, als würde er mühsam eine übermächtige Emotion unterdrücken, als würde er jeden Moment in Tränen oder Gelächter ausbrechen.
    »Lasst … ihn … in … Ruhe«, sagte er.
    Die beiden gehorchten und entfernten sich von mir, durch Gras, das mehr rot aussah als grün. Ich berührte meine Kehrseite zaghaft und voller Angst, was ich ertasten würde, doch zu meiner Erleichterung stellte ich fest, dass die beiden zwar durch die Schuppen bis auf die Muskeln darunter geschnitten hatten, doch nicht weiter. Sollte ich diese erste Begegnung mit der Menschheit wie durch ein Wunder überleben, besaß ich wenigstens noch meine Schwänze.
    Derweil war Quitoon aus den Schatten unter den Bäumen getreten und näherte sich der Mitte der Lichtung. Ich sah, dass er zitterte, aber nicht aus Gebrechlichkeit. Da war ich mir ganz sicher.
    Der Pöbel indessen ging offenbar davon aus, dass er tatsächlich verwundet war, und wertete sein Zittern als Zeichen eines geschwächten Zustandes. Sie warfen einander kurze, durchtriebene Blicke zu und umzingelten ihn unauffällig. Die meisten hielten noch die Waffen in Händen, mit denen sie mich verprügelt hatten.
    Sie brauchten nicht lang, bis sie ihre Positionen eingenommen hatten. Als sie damit fertig waren, drehte sich Quitoon langsam einmal um sich selbst, als wollte er sich vergewissern. Allein das schien ihn große Anstrengung zu kosten. Sein Zittern wurde immer schlimmer. Vermutlich würde es nur noch Sekunden dauern, bis die Beine ihm den Dienst versagten und er zu Boden fiel, und dann würde der Mob …
    Quitoon riss mich aus meinen Gedanken.
    »Mister B.?« Seine Stimme bebte, klang aber immer noch kräftig.
    »Ich bin hier.«
    »Fahr zur Hölle.«
    Ich starrte Quitoon an (wie jeder auf der Lichtung) und versuchte zu ergründen, was er vorhatte. Bot er sich als Zielscheibe an, damit ich entkommen konnte, während der Pöbel ihm die Rüstung vom Leib riss und ihn zu Tode prügelte? Und warum zitterte er auf diese bizarre Weise? Wieder kam der Befehl, ausgesprochen mit beinahe beunruhigender Macht.
    »Fahr zur Hölle, Mister B.!«
    Dieses Mal riss mich der Tonfall aus meiner Fassungslosigkeit, und ich erinnerte mich wieder an seine Anweisung: Geh in Deckung, wenn ich deinen Namen rufe.
    Da ich seinem Befehl wohl fast eine Minute nicht Folge geleistet hatte, bemühte ich mich, die verlorene Zeit aufzuholen, so gut es mein gemarterter Körper erlaubte. Ich machte fünf oder sechs Schritte rückwärts, bis ich das Dickicht im Rücken spürte und begriff, dass es nicht mehr weiter ging.
    Ich hob den schmerzenden Kopf und schaute wieder zu Quitoon. Er stand immer noch in der Mitte des Pöbels, wo sein Körper in der Rüstung schlimmer denn je zitterte. Dann drang ein Schrei unter dem Visier hervor, der immer lauter und höher wurde, während wir ihn fassungslos anstarrten. Schriller und schriller, lauter und lauter, bis das Geräusch, das er von sich gab, wie die Laute, die ich von Mama gelernt hatte, kaum noch ein vorstellbares Produkt von Lunge und Kehle zu sein schien. Die höchsten Töne glichen Vogelgekreisch, die tiefsten ließen den Boden unter meinen Füßen erbeben und meine Zähne, den Magen und die Blase schmerzen.
    Aber lange musste ich die Auswirkungen nicht ertragen.

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