Fahr zur Hölle
offensichtlich zufrieden mit der Präzision ihrer Erinnerung.
Ich hatte so eine Kappe schon mal gesehen. Wo? Online? Auf der Rennstrecke?
»Was war der Tenor der Unterhaltung?«, fragte Slidell.
»Hä?«
»Freundlich? Hitzig?«
»Na, glücklich sahen sie nicht gerade aus.«
»Worüber redeten sie?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.«
»Tun Sie’s noch mal.«
Nolan schlug die Beine übereinander, bog die Zehen nach oben und wippte mit einem Fuß, während sie ihr Gedächtnis durchforstete.
»Der alte Typ sagte irgendwas vom Vergiften des Systems. Dann sagte Cale irgendwas in der Richtung, dass es zu spät sei. Es werde passieren. Dann sagte der Alte was davon, dass man wissen müsse, was einem zusteht.«
Wir warteten einige Augenblicke schnellen Fußwippens und langsamen Durchforstens ab.
»Als ich wieder an ihnen vorbeiging, sagte Cale dem Alten, er solle aufhören zu nörgeln. Dann sagte der Alte zu Cale, er solle nicht so scheinheilig tun. Und dann noch was über einen Tomahawk oder so. Aber da war’s gerade ziemlich laut. Diesen Teil konnte ich nicht wirklich verstehen.«
»Reden Sie weiter.«
»Dann ging ich wieder zu der Sitznische und setzte mich zu Cindi.«
»Und?«
»Sie war stinksauer, weil Cale so lange brauchte, und deshalb ging sie zu den beiden. Cale legte ihr den Arm um die Taille. Das war sehr nett. Aber wie der Alte sie anschaute, war unheimlich.«
»Wie unheimlich?«
»Kalt.« Dann riss Nolan die Augen auf. »Nein. Das war mehr. Als würde er sie abgrundtief hassen.«
»Und dann?«
»Der Alte sagte etwas. Dann sagte Cale etwas, dem Typen direkt ins Gesicht, als wäre er richtig wütend. Dann stürmte der Alte hinaus.«
»Als Cale wieder zu der Nische kam, haben Sie ihn gefragt, mit wem er da geredet hatte?«
»Er sagte, ein Arschloch, das er lieber nie zu Gesicht bekommen hätte.«
»Sie haben es nicht weiterverfolgt?«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie haben nicht noch einmal gefragt?«
»Cindi meinte, ich soll es sein lassen. Ich meine, direkt gesagt hat sie es nicht, aber sie warf mir einen Blick zu, und ich wusste, was sie meinte. Ich bin ja nicht blöd.«
Doch, dachte ich. Du bist unwiderruflich blöd.
»Also ehrlich, an mehr kann ich mich wirklich nicht erinnern«, jammerte Lynn. »Ich bin müde. Ich muss ins Bett.«
»Warum haben Sie die Feindseligkeit dieses Mannes gegenüber Cindi vor heute Abend nie erwähnt?«
»Weil niemand mich gefragt hat, Sie wissen schon, was danach passiert ist. Immer nur, was sie an der Bar gesagt haben.«
Ich schaute Slidell an. Du bist dran.
»Okay, Turteltäubchen. Folgendes wird jetzt passieren.«
Als Slidell die übliche Masche mit »Sie dürfen die Stadt nicht verlassen« abzog, sprang Nolan auf und deutete mit dem Finger auf Raines.
»Na schön. Aber ich will diesen Wichser nicht mehr in meiner Wohnung haben. Mr Kleine Nummer Nebenbei bleibt nicht hier.«
So viel zu wahrer Liebe.
Auf dem Rückweg zum Annex redeten Slidell und ich über unsere Eindrücke.
»Das sind zwei moralische Invaliden.«
»Ja«, pflichtete Slidell mir bei. »Aber mein Bauch sagt mir, Raines ist nicht der Typ für Gamble oder Hand.«
»Wo lebte er, als Hand auf die Deponie kam?«
»Atlanta.«
»Und was für ein Motiv sollte er haben, Wayne Gamble umzubringen?«
»Genau. Trotzdem werde ich mir den Mistkerl sehr genau ansehen.«
»Nolans Beschreibung des alten Manns passt nicht auf Grady Winge«, sagte ich. »Oder J. D. Danner. Vielleicht auf Eugene Fries, aber der behauptet ja, ein Opfer zu sein.«
»Ich werde mir Winge gleich morgen früh vornehmen.«
Als wir in die Einfahrt zur Sharon Hall einbogen, fuhr ein Streifenwagen des CMPD eben heraus. Slidell winkte. Der Beamte hinter dem Steuer erwiderte den Gruß.
»Schätze, die verschärften Patrouillen brauchen wir jetzt nicht mehr.«
»Sind Sie überzeugt, dass Grady Winge Cindi und Cale umgebracht hat?«
»Meinen Sie das ernst? Sie haben ihn doch an der Grabstelle gesehen.«
»Das beweist nur, dass er wusste, wo die Leichen vergraben waren.«
»Warum tut ihm dann alles so verdammt leid?«
»Was ist mit Wayne Gamble?«
»Vertrauen Sie mir. Schon in wenigen Stunden wird Winge singen wie ein Spielmannszug.«
Slidells linguistische Fehlgriffe schafften es immer, mich zu verblüffen.
»Sie sollten mit Ihren juristischen Fachbegriffen ein wenig aufpassen«, sagte ich. »Den Tatbestand eheliche Entfremdung gibt es zwar, aber das ist ein Vorwurf gegen eine dritte Partei, nicht gegen
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