Fahrt zur Hölle
Afrika zu begegnen. Natur, liebenswerte Menschen … So, wie man es als Tourist nicht erleben kann.« Ein schwärmerischer Ausdruck trat in seine Augen. »Ich muss Sie allerdings davor warnen, sich leichtfertig im Lande zu bewegen. Abseits der touristischen Zentren lauern viele Gefahren auf den unbedarften Reisenden.«
Lüder registrierte, wie Herzog ihn einschätzte.
»Die Kriminalität ist durch eine hohe Gewaltbereitschaft geprägt. Menschenleben und die Gesundheit haben hier einen anderen Stellenwert als in Europa. Deshalb sollte man die Reisewarnungen und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts beachten. Die Gefahrenlagen sind oft unübersichtlich und können sich rasch ändern. Bedenken Sie, dass die Durchführung der Reise allein in Ihrer Verantwortung liegt. Das gilt für die Kriminalität, die besondere politische Lage in diesen Breitengraden, aber auch andere Rechtsvorschriften und Normen, ganz abgesehen von den gesundheitlichen Risiken.«
»Können Sie für mich Kontakte zu Leuten herstellen, die in Verbindung mit den Piratenüberfällen stehen könnten?«
»Bitte?«, fragte Herzog überrascht. »In Somalia?«
»In Kenia«, erwiderte Lüder.
Herzog runzelte die Stirn. »Das ist ein heißes Eisen. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Europäern und Kenia sollen die Piraten hier vor Gericht gestellt werden. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass die Polizei und auch die Justiz hier anders arbeiten, als wir es gewohnt sind.«
»Sie meinen, die wären nicht unabhängig oder gar korrupt?«
»So würde ich es nicht nennen. Wie soll ich sagen …« Herzog suchte nach den geeigneten Worten. »Anders.«
»Gibt es hier vor Ort aussagekräftigere Informationen zum geplatzten Prozess gegen die Piraten, die das deutsche Schiff ›Courier‹ überfallen haben und daraufhin von den Soldaten der Fregatte ›Rheinland-Pfalz‹ festgesetzt wurden?«
»Der Prozess in Mombasa ist geplatzt. Die Richter wurden entlassen. Das kenianische Justizministerium verweigert dazu jede Stellungnahme.«
Lüder wiegte den Kopf.
»Wir sollten aber nicht den Afrikanern die Schuld geben«, fuhr Herzog fort. »Einer der Entführer hat gegen die Bundesrepublik geklagt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er mit seiner Klage durchkommt und Schadenersatz von Deutschland erhält, weil die Auslieferung an Kenia rechtswidrig war.«
Lüder schwieg. Er war Jurist und kannte die Entscheidungsgrundlagen, doch er wusste, dass die Welt der Juristen nur selten von den Menschen verstanden wurde, die meinten, nach ihrem gesunden Menschenverstand zu urteilen. »Ich werde als Journalist auftreten«, sagte er. »Können Sie mir Kontakte im Justizministerium nennen?«
»Soll ich sie Ihnen vermitteln?«
»Nein«, sagte Lüder. »Ich will als unabhängiger Reporter auftreten.«
»Ich werde Ihnen Namen nennen«, sagte Herzog zu. »Sie sind hinter den Piraten her?«
»Das ist Ihre Interpretation.«
»Die sitzen aber in Somalia.«
Lüder betrachtete sein Gegenüber. Das blonde Haar war gescheitelt. Es passte gut zur gesunden Gesichtsbräune. Herzog hatte ein kantiges, aber freundliches Gesicht. Seine sportliche Figur und die gepflegte Erscheinung unterstrichen den sympathischen Eindruck.
»Gibt es Kontakte zwischen den beiden Ländern?«
»Zwei Länder?« Es klang ein wenig spöttisch. »Somalia hat 1991 aufgehört, ein Land zu sein. Alle staatlichen Strukturen sind zerschlagen. Seitdem gibt es keine funktionierende Zentralregierung mehr. Der nordwestliche Teil strebt die Anerkennung als eigenständige Nation an, verschiedene Provinzen haben sich als autonom erklärt, und selbst in der Hauptstadt Mogadischu wechseln die Herrscher von Stadtteil zu Stadtteil. Das Land wird von lokalen Clans beherrscht, in anderen Teilen von Warlords, manchmal von radikal-islamischen Gruppen und in einigen Gegenden auch von den Piraten. Sie haben keinen Ansprechpartner. Es gibt kein funktionierendes Rechtssystem, keine Polizei oder sonstige übergeordnete staat- liche Gewalt. Man kann es sich als Außenstehender nicht vorstellen. Die deutsche Botschaft in Somalia ist geschlossen. Deshalb finden Sie in Somalia auch keinen Ansprechpartner, geschweige denn konsularischen Schutz. Selbst in Ländern, in denen die Bundesrepublik nicht vertreten ist, können sich unsere Bürger in Notfällen an konsularische Vertretungen befreundeter Staaten wenden. Das ist internationaler Usus. Das gilt nicht für Somalia. Dort gibt es nichts. Absolut nichts. Für Ausländer ist es
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