Fahrt zur Hölle
abbogen, durch einen ramponierten Triumphbogen über die Straße mit dem eigentümlichen Namen »Kilometer 4« fuhren und nach zwei weiteren Kilometern die Straße verließen. Dicht stehende Akazien verliehen dem Viertel ein nahezu freundliches Aussehen.
Der Hummer hielt an einem zerkratzten blechernen Tor, das in eine hohe Mauer eingelassen war, von der nicht nur die Farbe abblätterte. Der Fahrer hupte, das Tor öffnete sich, und sie fuhren in einen Innenhof, der früher sicher einmal großzügig angelegt gewesen sein musste, jetzt aber Spuren von Verwahrlosung aufwies.
Der »Brillenmann« stieg aus und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, über eine breite Treppe durch eine überdimensionierte kunstvoll geschnitzte Tür in das Innere des Hauses.
Lüder stieg aus und fühlte sich ein wenig verloren im Innenhof. Er hatte Zeit, einen Blick auf die Pflanzen zu werfen, denen schon länger eine ordnende Gärtnerhand fehlte und die den trockenen Brunnen mit der Figur einer antiken Göttin umgaben.
Der Fahrer sagte etwas zu Lüder auf Somali und zeigte mit der ausgestreckten Hand auf die Tür. Nachdem Lüder nicht sofort reagierte, wiederholte der Mann seine Worte, zog Lüder ein Stück in Richtung der Treppe und bedeutete ihm mit lebhaften Gesten einzutreten.
Eine angenehme Kühle empfing ihn. Sicher trug dazu der Marmorboden bei, auch wenn Teile des Fußbodenbelags rissig und an anderen Stellen handtellergroße Stücke herausgesplittert waren. Die Pracht vergangener Zeiten war dem Inneren des Gebäudes ebenso abhandengekommen wie dem Innenhof. In einem übergroßen Spiegel mit kunstvoll ziseliertem goldenem Rahmen sah er, wie ihn ein Mann beobachtete, der in seinem Rücken aus einer der Türen herausgetreten war.
Lüder drehte sich um. Der Mann mit dem Doppelkinn, auf dem sich dunkle Schatten von Bartstoppeln abzeichneten, und dem etwas zu groß geratenen runden Kopf glich wie ein Zwilling einem leider viel zu früh verstorbenen deutschen Fernsehkomiker, der für einen die Reste des guten Geschmacks verramschenden Werbesender abgehalfterte Expromis durch den Urwald jagte.
Der Mann kam ihm entgegen, streckte die Hand aus und begrüßte Lüder mit einem laschen Händedruck.
»Grüezi, Herr Wolfram. Willkommen in Mogadischu.«
Hürlimann hielt es nicht für nötig, sich vorzustellen.
»Guten Tag.« Lüder sah auf den Schweizer hinab, der mehr als einen Kopf kleiner war und in einem schneeweißen Leinenanzug steckte.
»Sie hatten eine angenehme Anreise?« Die Frage war eine Feststellung. »Kommen Sie«, forderte er Lüder auf und führte ihn in einen Salon, der Lüder überraschte. Er hatte keine Einrichtung im Louis-seize-Stil erwartet, nicht in Somalia.
Das Interieur bestand aus rechteckigen Schrankmöbeln und Sekretären mit angeschrägten Ecken. Das Repertoire von Kapitellen und Giebeln wirkte fast ein wenig verspielt, passte nicht zum reinen Louis-seize. Die in Edelfurnieren gearbeiteten Intarsien zeigten Zitate aus Flora und Fauna. Das setzte sich im Bezug der Sitzmöbel fort.
Hürlimann wies auf einen Fauteuil, während er eine Bergere ansteuerte und sich schwer atmend hineinfallen ließ. Nachdem der Schweizer Platz genommen hatte, registrierte Lüder belustigt, dass nur die Fußspitzen den Boden erreichten, während die Hacken in der Luft baumelten.
Unaufgefordert erschien ein Einheimischer in einem blauen Kittelhemd.
»Aperol Spritz?«, fragte Hürlimann und ergänzte: »Das ist doch derzeit en vogue in Europa.« Mit einer wedelnden Handbewegung schickte er den Bediensteten wieder hinaus, nachdem er etwas auf Somali zu ihm gesagt hatte.
Hürlimann ließ Lüder Zeit, den Raum auf sich wirken zu lassen. Auch hier setzte sich der Verfall fort. An manchen Stellen waren die kostbaren Möbel, auch wenn es Repliken waren, zerschrammt, das Furnier bog sich in die Höhe. Der Teppichboden war zerschlissen, auf den textilen Wandbehängen zeichneten sich dunkle Wasserflecke ab.
»Wenn Sie sich ein Urteil über das Haus und seine Einrichtung machen, vergessen Sie bitte nicht, in welchem Teil der Welt Sie sich befinden. Es gehörte ursprünglich einem begüterten Einheimischen, der es irgendwann vorgezogen hat, die afrikanische Sonne gegen die kalifornische zu tauschen.«
»Womit hat der Vorbesitzer sein Geld verdient?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Hürlimann. Es klang ehrlich. »Ich habe ihn nie kennengelernt.«
»Und jetzt gehört es Ihnen?«
»Ich bin Mieter.«
»Und überweisen die
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