Fahrt zur Hölle
dann?«, fragte der Kapitän.
Lüder zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Waren es Somalier?«, wollte Syrjanow wissen.
»Nein«, entgegnete Lüder. »Eventuell waren es Söldner. Eine Sicherheitsfirma, wie die sich heute nennen.«
»Eine – was?« Syrjanow war überrascht.
»Dieses Geschäftsmodell haben skrupellose Geschäftemacher für sich entdeckt. Es sind oft Entwurzelte, manchmal auch Kriminelle oder Abenteurer, die das Geld lockt. Früher gingen diese Leute zur Fremdenlegion. Heute verdingen sie sich oft für schmutzige Geschäfte, die niemand anders machen will. Dabei fragen sie nicht, ob es einem vermeintlich guten Zweck dient wie einer Geiselbefreiung oder ob sie einem Warlord dienen.«
»Wer hat die angeheuert?«, interessierte den Kapitän. »Das kann doch nur die Reederei sein, der das Schicksal der Besatzung nicht gleichgültig ist.«
Lüder beließ Syrjanow in dem Glauben. Er war nicht davon überzeugt, dass die Schiffseigner die Söldner zu ihrer Befreiung angeheuert hatten. Irgendetwas stimmte nicht. Die Männer waren kaltblütig vorgegangen und hatten sich vom Strand bis zu diesem Versteck vorgearbeitet. Es hatte auf Lüder nicht so gewirkt, als hätte die Truppe den Ort durchkämmt und nach ihnen gesucht.
Die Söldner wussten, wo sie steckten. Aber woher? Irgendjemand musste es ihnen verraten haben. Lüder hatte keinen Hubschrauber gehört. Und über Land kam niemand bis in diese äußerste Ecke Afrikas. Nein! Die Aktion musste von einem Schiff aus gestartet worden sein. Leider hatte er nicht sehen können, mit welchem Fahrzeug die Leute gekommen waren. Hatten sie sich irgendwo im Ort eines bemächtigt? Oder waren sie mit einem Landungsboot gekommen, auf dem sie ihre Ausrüstung einschließlich des Fahrzeugs transportiert hatten? Sie waren professionell vorgegangen, auch wenn die Piraten sie vertreiben konnten.
Für Lüders Gefühl hatten die Söldner zu schnell aufgegeben. Mit Sicherheit waren sie Galaydhs Leuten überlegen gewesen. Eine viel interessantere Frage war, warum man gezielt auf Bayani geschossen hatte. Es war kein Zufall, davon war Lüder überzeugt. Erst als der Matrose laut »Amerikaner. Hier sind wir« gerufen hatte, war die Salve abgegeben worden. Es war eine Hinrichtung gewesen. Was machte das für einen Sinn? Wollte jemand die Geiseln ermorden lassen und damit lästige Mitwisser aus dem Weg schaffen? Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Das konnte nicht sein.
Lüder ging zum Fenster und lugte vorsichtig hinaus.
Dort, wo zuvor das Tor war, gähnte ein Loch in der Mauer. Teile der Tür hingen zerfetzt in den Angeln. Die zweite Handgranate musste die Hütte der Bewacher getroffen haben. Sie wies erhebliche Schäden auf. Lüders Blick verweilte mitten auf dem Hof. Dort hatte sich eine große Blutlache gebildet, und das rote Lebenselixier versickerte im schmutzigen Sand.
Inmitten des Flecks lag der Junge, den Lüder nie ohne die Maschinenpistole gesehen hatte, der fest im Glauben gewesen war, er wäre mit diesem tödlichen Instrument unverwundbar. Die Garbe aus einer der automatischen Waffen der Angreifer hatte auf grausame Weise seinem Leben ein vorzeitiges Ende gesetzt. Lüder war froh, dass der Junge so lag, dass die Verletzungen vom Fenster des Gefängnisses nicht zu erkennen waren.
Vorsichtig tauchten drei Männer auf, unter ihnen Galaydh. Sie näherten sich dem Jungen und umrundeten ihn. Niemand beugte sich zu dem Kind hinab, prüfte, ob ihm ärztliche Hilfe noch Rettung bringen könnte. Es gab hier keinen Arzt, geschweige denn ein Krankenhaus.
Jetzt begannen die Somalier lautstark zu debattieren. Zwischendurch glaubte Lüder wieder mehrfach, das geheimnisvolle »Abu Talha« verstanden zu haben. Im Gespräch drehten sich die Männer zur Hütte der Geiseln um. Einer schien besonders erregt zu sein. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er auf das Gefängnis. Dann wollte er losmarschieren, sein Sturmgewehr im Anschlag.
Es war wie ein böser Traum. Der Mann trug eine moderne G36, eine deutsche Präzisionswaffe. Deutsche Hightech-Waffentechnik richtete sich nun gegen Lüder und seine Gefährten. Ob man das in den Schaltzentralen der Waffenschmieden billigend in Kauf nahm? Ob man sich dort Gedanken darüber machte, über welche dunklen Kanäle die todbringenden Produkte in falsche Hände gerieten?
Galaydh eilte seinem Mann hinterher und versuchte ihn festzuhalten. Doch der zeigte sich grimmig entschlossen und riss sich los. Noch einmal setzte der Anführer
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