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Fahrt zur Hölle

Fahrt zur Hölle

Titel: Fahrt zur Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Nygaard
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an und umklammerte seinen Kumpan von hinten. Wie Schraubstöcke umschlossen dabei seine Arme den Oberkörper des Gewehrträgers. Während der ganzen Aktion ging die hitzig geführte Auseinandersetzung weiter.
    Der Dritte stand unschlüssig zu Füßen des toten Jungen. Wenn er sich jetzt zu unseren Ungunsten einschaltet, überlegte Lüder und wollte diesen Gedanken nicht zu Ende führen.
    Endlich ließ der Somalier mit dem G36 den Lauf des Gewehrs hinabsinken. Seine Körperhaltung entspannte sich. Galaydh schien ihn überzeugt zu haben. Ganz langsam drehten sich die Männer um und trotteten zurück zu ihrer Hütte.
    Lüder atmete tief durch. Jetzt galt es, die nächsten Schritte zu organisieren. Er warf einen Blick auf den Toten in ihren eigenen Reihen. Sie mussten ihre Bewacher auf sich aufmerksam machen. Bayani durfte hier nicht liegen bleiben. Bei diesen Temperaturen war er ein gesundheitliches Risiko für alle Überlebenden, auch wenn der Gedanke vielleicht pietätlos war.
    Mehrere seiner Landsleute hatten sich zu einem Ring zusammengefunden und murmelten gemeinsam etwas Gleichförmiges in ihrer Muttersprache. Auch wenn Lüder es nicht verstand, gemahnte ihn der Rhythmus an das Vaterunser. Er ließ den Männern ihre Trauer.
    Erst nachdem sie ihre Gebete abgeschlossen hatten, legte er die Hände wie einen Trichter an den Mund und rief: »Galaydh!«
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Somalier erschien und langsam an die Hütte der Geiseln herantrat.
    »Was ist?«
    »Wir haben hier einen Toten«, erklärte Lüder.
    »Wir auch«, erwiderte Galaydh und zeigte auf den Jungen, der immer noch mitten auf dem Hof lag. »Wissen Sie, wie alt er war?«
    »Zu jung zum Sterben.«
    »Seyam war vierzehn.«
    »Warum haben Sie ihm die Waffe gegeben?« Lüder versuchte, es nicht wie einen Vorwurf klingen zu lassen. Sie waren darauf angewiesen, dass Galaydh sich kooperativ zeigte.
    »Sie verstehen unsere Welt nicht. Niemand hätte Seyam daran hindern können. Er stammt aus der Hauptstadt. Sein Vater starb im Kampf gegen den Diktator Siad Barre. Seyam musste früh mit ran, die Familie ernähren. Er hat als Bewacher der Lebensmitteltransporte der Hilfsorganisationen gearbeitet. Wissen Sie, was das heißt? Die Lastwagen wurden von hungernden Menschen überfallen. Irgendwann hat er notgedrungen die Seiten gewechselt und die Lebensmittel, die er bewachen sollte, gestohlen. Das nennt sich ›Wirtschaft auf Somalisch‹, wie es der Spiegel einst beschrieb. So musste er mit seinem Onkel bis nach Hordio fliehen. Und jetzt? Da!« Galaydh zeigte auf den Leichnam. »Der Onkel wollte Seyam rächen. Sie haben es selbst beobachtet.«
    »Das ist sein Onkel, den Sie vorhin nur mit Mühe aufgehalten haben?«
    »Samimi muss Rache üben. Das ist das Gesetz. Nur so kann Seyam Frieden finden.«
    »Aber von uns hat keiner seinen Neffen getötet! Samimi hätte den Jungen nie allein im Hof lassen dürfen. Er trägt doch ein großes Stück Verantwortung für das Drama.«
    Galaydh winkte ab. »Wären Sie nicht hier, wäre das alles nicht passiert.«
    »Lassen Sie uns gehen«, sagte Lüder. »Keiner von uns ist freiwillig hier.«
    Galaydh schien Lüder gar nicht zuzuhören.
    »Seyam starb, weil er Ihr Leben verteidigt hat.«
    Galaydh bestätigte Lüders Vermutung, dass der Überfall nicht der Geiselbefreiung hatte dienen sollen.
    »Wer waren die Täter?«
    »Mörder.«
    »In wessen Auftrag haben sie gehandelt?«, fragte Lüder.
    »Das müssen Sie mir sagen.«
    Sie drehten sich im Kreis. Lüder zermarterte sich schon eine Weile das Gehirn, fand aber keine Antwort auf die Frage, wer ihn und die Besatzung töten wollte. Auch wenn die Piraten sie menschenunwürdig untergebracht hatten, Galaydh war nicht am Tod der Geiseln gelegen. Der Somalier und seine Männer hatten sich nicht bedingungslos vor die Gefangenen gestellt, sondern sich und ihre Beute verteidigt.
    »Waren es Amerikaner?«
    »Möglich. Einer war Franzose oder Belgier«, sagte Galaydh. »Sein Englisch klang so.«
    Lüder war sich sicher, dass das Kommando aus bezahlten Söldnern bestand.
    »Wie sind die hergekommen?«
    »Durch den Ort.«
    »Es klang, als hätte es die erste Auseinandersetzung am Strand gegeben.«
    Galaydh nickte. »Das würde ich auch vermuten.«
    »Haben Sie zuverlässige Informationen?«
    »Nein. Ich kann niemanden in die Stadt schicken. Sie haben selbst erlebt, wie explosiv die Lage ist. Meine Leute sind im Augenblick nicht mehr sicher.«
    Die Lage wurde immer brisanter. Wenn sich die

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