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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Maak
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Beschimpfung aufblinken ließ. Er schaltete es ab. Die Gaswolke wälzte sich weiter, er setzte sich schräg auf seinen Stuhl, presste sich gegen den Sitz, sein Schließmuskel leistete Heroisches, war aber schließlich machtlos. Es klang, wie wenn jemand einen Ast durchbricht – wie ein Schuss in der Stille. Das Klappern der Gabeln verstummte, über ihre Speisen gebeugte Herren und Damen hoben den Kopf. Irgendwo kicherte einer. Selten hatte hier jemand so laut gefurzt.
     
    Es war furchtbar. Janna Bissheimer schaute ungläubig auf den Salzstreuer vor sich; er sah ihr Dekolleté und die Sommersprossen auf ihrem Schlüsselbein und darunter ihr Herz schlagen. Wenn er je eine Chance bei ihr gehabt hatte, war sie jetzt vertan, im Büro, am Kopierer im dritten Stock, im ovalen Konferenzzimmer und in der Teeküche, beim Italiener an der Ecke würden sich morgen alle diese wahnsinnig komische Geschichte erzählen, wie der Typ aus der Abteilung im achten Stock … mitten im Restaurant, doch, doch …
    In dieser verzweifelten Situation tat Berger das einzige, was ihnretten konnte; er drehte sich ruckartig in Richtung Nachbartisch, lenkte so die drei Dutzend auf ihn starrenden Augenpaare schlagartig um und schaute dem überraschten Herrn, der dort saß, lange und vorwurfsvoll in die Augen – »Entschuldigen Sie mal, das war ich nicht«, stotterte der Mann entgeistert –, dann schüttelte Berger theatralisch den Kopf und trank seelenruhig seinen Wein aus.
    Vielleicht hatte er Janna überlistet, vielleicht war sie aber auch nur sehr höflich, jedenfalls sagte sie nichts. Sie zahlten schnell. Er brachte sie zum Taxi; die Verabschiedung fiel kühler aus, als er es sich erhofft hatte.
     
    Als er nach Hause kam, war es ruhig in seiner Straße, nur ein Betrunkener schlug mit der flachen Hand auf einen Zigarettenautomaten ein. Es roch nach frischem Karbolineum, der Nachbar hatte den Vorgartenzaun gestrichen. Im Wohnzimmer trat Berger auf ein Spielzeug-Laptop von Fisher-Price, das zwischen dem Sofa und dem Barschrank herumlag. Eine metallische Stimme sagte: »Hallo, bist du noch da? Ich bin dein Computer. Lass uns spielen.« Er gab dem Ding einen Tritt, es flog zwei Meter durchs Zimmer und gegen eine Wand. Die metallische Stimme sang: »Mein Laptop ist mein Freund, mit dem spieln wir heut’, und haben dabei ganz viel Spaß und lernen auch noch was.«
    Er schaute nach den Kindern und küsste den schlafenden Jungen auf den Kopf, dann legte er sich zu Simone ins Bett.
    Er hatte Albträume; große, scharfkantige Zahlen polterten durch seinen Kopf und krachten von innen gegen die Schädelwände und hinterließen tiefe Risse, durch die das Tageslicht drang.
     
    Sie schickten ihn nach Niedersachsen. Er sollte am Nachmittag jemanden wegen der Geschichte mit Tolkow treffen, in einem Gasthof hinter Großenkneten, das ist so eine Gegend, sagt Berger, das ist nicht nur normal proletig, das ist allerschlimmster Wahnsinn – schwarze Äcker, schiefe Bauernhöfe, übermooster Backstein, depressive Schafe im Nebel, Futtersilos, Traktorenland, Dioxinskandale, Hühnerfarmen,Schweinemastland, gekreuzte Pferdeköpfe aus vermodertem Holz am Giebel: tiefstes, matschiges Niedersachsen. Auch: Gerhardschröderland, Hartzvierland, Volkswagen-Betriebsrats-Puffskandalland, Drückerkönigland.
    Veronika Ferres schaute vom Cover der Bunten , die in Vechta am Kiosk hing, zusammen mit ihrem Mann, dem sogenannten Unternehmer Carsten Maschmeyer, dem Freund von Gerhard Schröder und Christian Wulff.
    Hinter der Ortsausfahrt hing ein Plakat, es warb für ein »Gemeinschaftskohlessen mit Tanz in Sage-Haast«, das stand auf dem Plakat, darunter sah man ein tanzendes Paar und eine Wurst in einem Topf mit Grünkohl. Vielleicht würde man dort, andererseits, sogar Spaß haben, dachte er. Er trank ein Bier und wartete auf jemanden, der nicht kam. Er versuchte, Simone zu erreichen. Nach einer Stunde fuhr er weiter, nach Köln.
    Am Abend zog er ein frisches Hemd an, verließ sein bestürzend trostloses Hotelzimmer und wanderte durch die Innenstadt, starrte in die Hässlichkeit eines Bata-Schuhgeschäfts, sah gelbe Butzenscheiben und Gummibäume im Sparkassenfenster und rosafarbene Putzfassaden, die aussahen, wie Schweiß roch, sah Glasbausteintreppenhäuser und sich auftürmende Verkehrsschilder; der Dom war genau genommen auch hässlich, aber er war groß, und ab einer gewissen Größe war Hässlichkeit kein Thema mehr, dachte er. Er ging ein Kölsch trinken. Er hatte einen

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