Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
noch ein bisschen Botox setzen, um die muskuläre Spannung zu reduzieren, dann werde das Gesicht wieder gerade. Auflegen, Entschuldigung, ein junger Kollege – weiter erzählen von damals: von den ersten Patientinnen, die mehr Schwung in ihre Nase bringen wollten, das sei so eine Mode gewesen, sagt Bellmann, in den siebziger Jahren wollten sie alle Stupsnasen haben, er selbst habe immer den geraden Nasenrücken bevorzugt, aber er könne natürlich auch anders.
Der Herbst war ungewöhnlich kühl. Im Radio spielten sie Donna Summers »I Feel Love«, das Lied, das die dunklen achtziger Jahre einleitete, das Jahrzehnt des Waldsterbens und der Atomangst und der Reaganomics, das Zeitalter von Aids. Bellmann lernte eine Frau kennen, bekam zwei Kinder mit ihr und kaufte sich einen großen BMW. Der Mercedes staubte in der Garage ein, und wenn er ihn morgens dort sah, erschien er ihm wie ein Ausblick auf etwas, das es nicht mehr geben würde. Schließlich verkaufte er auch ihn.
1981 eröffnete er mit zwei Kollegen eine Spezialpraxis für kosmetische Chirurgie und verdiente viel Geld damit. Es hieß bald, er habe eine spezielle Handschrift. Vielleicht war das so; vielleicht versuchte er aber auch nur, mit jedem Schnitt in ein Stück Haut, in die knorpelige Masse einer Nase, Phyllis wiederzufinden.
1980
Der Brief
Kilometerstand 065.030
Kurz nachdem er sich den Mercedes gekauft hatte, bekam Antonio Comeneno einen Brief. Jemand, der sich Onkel Pepo nannte, empfahl ihm eine Versicherung. Ärgerliche Dinge seien in letzter Zeit passiert, er mache sich als Onkel, auch wenn er ihn leider nur selten sehe, große Sorgen und wolle ihm die Police sehr ans Herz legen; zwei seiner Mitarbeiter würden ihm gern die notwendigen Unterlagen persönlich ins Restaurant bringen.
Was ist das für ein Quatsch, dachte Comeneno, ich habe ja gar keinen Onkel Pepo.
Ein paar Wochen später tauchten zwei Jugoslawen in seinem Lokal auf. Sie hatten teigige Gesichter und trugen dasselbe Sonnenbrillenmodell. Comeneno fragte, ob sie etwas zu Mittag essen wollten. Der linke Jugoslawe verneigte sich höflich und erklärte, leider hätten sie keine Zeit, sie würden nur schnell die mit Onkel Pepo – an dieser Stelle hob der rechte Jugoslawe kurz den Zeigefinger in die Luft, als wolle er so auf die Existenz eines solchen Onkels hinweisen – vereinbarte Summe entgegennehmen; danach müsse man leider weiter. Der linke Jugoslawe beugte sich leicht vornüber und flüsterte Comeneno eine Zahl ins Ohr, der rechte Jugoslawe murmelte etwas. Die Küchenjungen waren im Gefolge des Kochs hinter dem Holzofen hervorgekommen und verfolgten erstaunt, was sich im Lokal tat. Der linke Jugoslawe hatte dunkles Haar und ein Doppelkinn, das zur Hälfte in seinem Hemdkragen verschwand; die starke Behaarung seiner Unterarme reichte bis auf die Handrücken, die in kurze Finger übergingen. Anseinem linken Handgelenk prangte eine metallisch glänzende Digitaluhr. Er schwitzte. Comeneno packte ihn und schob ihn, so wie man einen Braten in den Ofen schiebt, aus dem Lokal. Der rechte Jugoslawe wich erschrocken zurück. Zum Abschied fuchtelte er bedrohlich mit der Faust, als er in den lindgrünen Audi stieg, der auf dem Gehweg parkte.
Zwei Wochen später wurden nachts die Scheiben des Restaurants eingeworfen; in den Holztresen der Bar ritzte jemand das Wort Pepo; das Messer ließ er senkrecht daneben stecken. Die Polizei nahm den Fall auf und hinterließ ein umständlich formuliertes Protokoll, eine Telefonnummer für Notfälle und zwei halbherzig angebissene Calzone.
Ein paar Wochen später sah Comeneno den linken Jugoslawen am Imbiss von Mallorca-Walter in Waldtrudering wieder. Er trug eine braungetönte Sonnenbrille und aß eine Wurst. Neben ihm lehnte, mit seinen kurzen Armen in der Luft rudernd, Mallorca-Walter. Er hatte in seinem früheren Leben einen Nachtclub in Palma besessen und wurde noch heute so genannt, obwohl er sein ganzes Geld in einem undurchsichtigen Immobiliengeschäft verloren und drei Jahre in Haft gesessen hatte. Jetzt arbeitete er in der Imbissbude seiner Lebensgefährtin Trudi; nur seine ledrige Haut, die alte, goldverzierte Sonnenbrille, die er mit Tesafilm repariert hatte, und sein Hang zu teuren Zigarren erinnerten an die Tage, als er in einer gelben Corvette durch die Calle Conquistador gerollt war. Als der Jugoslawe Comeneno sah, brach er zügig auf, und Mallorca-Walter zog seinen runden, halslosen Kopf, der auf seinem Körper saß wie
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