Faith (German Edition)
aufblickte. Er musste jedes Wort gehört haben.
„Kann ich was tun?“, fragte er und schluckte. Seine sonst so lustigen Augen schwammen in Tränen.
„Ja, das kannst du, flieg zu den Kräutergärten. Frag dort die Trolle nach den Blättern der blauen Blüten, die Schmerzen lindern und Wunden heilen. Beeil dich, Oskar.“
Die Trolle würden wissen, was der Glitter holen sollte.
Die haarigen Blätter des Feenkrauts wirkten sowohl schmerzlindernd als auch heilend, wenn sie richtig angewandt wurden.
„Und komm damit zu den Grotten“, rief sie Oskar hinterher.
Elsabe hatte nicht auf Magalie gewartet. Sie wusste, dass diese den Weg allein finden würde.
Die Hexe war eine großartige Heilerin. Sie und ihre Schwestern hatten schon manches Wunder vollbracht, aber der Zustand des jungen Paares war mehr als bedenklich.
Wenn ein Leben wirklich zu Ende gehen sollte, konnten auch die Feen und Hexen mit ihrem Wissen nicht mehr helfen.
Magalie erreichte die Grotten kurz nach Elsabe.
Dampfend heiße Wasserschleier, die einen süßen blumigen Duft verbreiteten, waberten ihr entgegen.
Die Hexen gaben den Weg frei, als Magalie erschien. Sie beobachteten sie besorgt und ihre dunklen Augen waren voller Trauer und Mitleid.
Die Fürstin beugte sich über ihre Tochter.
Der Wasserfall, der sich in die Grotten ergoss, sprühte warme, glitzernde Tropfen, die wie ein schimmerndes zartes Gespinst den runden Raum füllten.
Faith schwebte, eingehüllt in hauchzartes Gewebe, in der Mitte der Felsenhöhle.
„Wir können sie nicht anders lagern.“
Magalie sah Elsabe fragend an.
Wortlos hob die Hexe eines der Tücher von Faith Körper.
Magalie erstarrte.
„Wo ist der Junge?“
Magalie blickte sich suchend um.
Eine der Hexen führte sie in eine zweite, ebenfalls runde Grotte, deren natürliche Steinwannen mit warmem heilenden Wasser gefüllt waren.
Die Wanne, in der Richard lag, war die, in der schon Adam gelegen hatte.
Hier hatten die sanften Hände der Hexen Adam gesund gepflegt, nachdem der Biss des Slickers ihn beinahe das Leben gekostet hatte.
Sie betrachtete den schönen Körper des Jungen, der keinerlei Brandwunden aufwies.
Richard war noch nicht wieder aufgewacht, aber er würde gesund werden.
Oskars helle Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Er reichte ihr den Korb, den die Trolle mit Kräutern gefüllt hatten.
„Was soll ich Robert sagen?“
Gerührt fuhr sie ihm durch den Schopf.
„Sag ihm …“ Magalie kämpfte mit den Tränen. Ihre Stimme versagte.
„Ich sag ihm, dass du bei Faith bist und sie gesund machst.“
Sie nickte ihm zu.
„Lass dich nicht von Annabelle erwischen.“
Oskar verschwand, wie er es Elsabe abgeguckt hatte, ohne Worte.
Die Erde bebt
Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky fuhr mit einem Ruck aus ihren Kissen. Der Wecker zeigte drei Uhr in der Nacht des 15. Februar.
Der Bücherstapel, den sie wie immer auf dem Nachttisch platziert hatte, war mit einem Riesenknall umgestürzt und hatte sich auf dem Fußboden verteilt. Sie riss sich die auberginefarbene Schlafmaske von den Augen und fluchte, während sie ihren Ohren die Ohrstöpsel entnahm, ganz gegen ihre Art in die Dunkelheit.
Langsam tröpfelte der Rest des Wassers aus dem umgekippten Glas, das ebenfalls auf dem Nachttisch für die Nacht bereitstand, auf ihre kostbaren Bücher.
Sie schlug die Decke zurück und suchte mit den Füßen, die in dicken Socken steckten, nach den Hausschuhen, um mitten in einer Wasserpfütze zu landen.
Leise schrie sie auf, als ein erneutes kurzes Beben die Leselampe neben ihrem Bett beinahe umgeworfen hätte.
Sie war eine mutige pflichtbewusste Frau und dachte zunächst an ihre Schutzbefohlenen.
Die Direktorin warf sich ihren hellblauen gesteppten Morgenmantel über und schloss resolut die Knöpfe bis zum Hals. Dann stürzte sie auf feuchten Socken durch die von einem Nachtlicht nur unzureichend beleuchteten Flure.
Vom entgegengesetzten Ende des Ganges, an dessen Ende sich ihr Büro und anschließend die Treppen zu den Räumen ihrer „Kinder“ befanden, flatterte ihr eine geisterhafte Erscheinung entgegen.
Schwester Dagmar trug interessanterweise das Oberteil eines knallroten Herrenschlafanzugs, der halb verborgen unter einem Morgenmantel aus blassrosa Satin hervorlugte.
Der zarte rosafarbene Stoff umwehte sie, als sie sich aufgelöst und eilig der Direktorin näherte.
Auch sie war, von der Sorge um die ihr Anvertrauten getrieben, aus dem Bett gesprungen.
„Sollten wir sie evakuieren?“,
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