Faith (German Edition)
Tagen.
Das Beben hatte aufgehört, aber immer noch hörten die Zwiesel den Steinschlag und über Allem das unaufhörliche Rauschen des Wassers, das Tag und Nacht in die Tiefe stürzte.
Die Bewohner der Dörfer und kleinen Städte im Gebirge waren beunruhigt.
Der Himmel verdunkelte sich zusehends. Ein heraufziehender Sturm trieb fast schwarze Wolken vor sich her.
Die Wälder wirkten wie riesige graue Getreidefelder, die im Wind hin und her wogten.
Man hörte das Knirschen langsam fallender Bäume, die dem Sturm nicht standhalten konnten.
Die beiden Jungen, die plötzlich auftauchten, keuchten. Gegen ihre sonstige Gewohnheit waren sie gerannt, statt sich zu orten. Sie hatten verbotenerweise ohne Aufsicht den Aussichtsturm erklommen, der einen hervorragenden Blick über das Land erlaubte, jedoch bei solchem Sturm ein gefährlicher Ort war.
Ihre Gedanken drangen, wie immer ohne Worte, in die Köpfe der Umstehenden ein.
„Auf dem schmalen Weg über der Kluft sind zwei Männer in Todesgefahr. Sie können nicht weitergehen. Der Sturm würde sie wegfegen.“
Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky
Die Direktorin konnte sich nicht so recht an diesem vorgezogenen Frühling erfreuen.
Die sogenannten Skiferien hatten begonnen, doch es lag nicht mehr das kleinste bisschen Schnee.
Die Hotels mussten Stornierungen hinnehmen, die Touristen blieben aus. Waldeck hatte sich in zartes Maigrün gekleidet, obwohl der Kalender erst Anfang März zeigte.
Wieder kroch die Angst um Jamal, Faith und Robert in ihr hoch. Würde Richard es schaffen, den dreien zu helfen, rechtzeitig diese seltsame Spiegelwelt zu verlassen?
Und wie ging es Ben und Lisa?
Im Internat waren nur die drei kleinen Els, Adam, Noah und Paul sowie Christian, Valerie und Viktor geblieben. So oft wie möglich gesellte sich Bruno, der in Waldeck wohnte, zu ihnen.
Bis jetzt hatte sie Glück gehabt.
Nichts von den letzten Ereignissen war durchgesickert.
Die Mitschüler der Verschwundenen glaubten immer noch an eine schwere Grippe, die sich Lisa, Ben, Faith und Jamal angeblich zugezogen hatten und die sich zur Lungenentzündung entwickelt hatte. Dass Richard sich von der Schule abgemeldet hatte, entsprach ja wenigstens der Wahrheit.
Selbst Patricia, die sonst ihre scharfe Zunge nicht im Zaum halten konnte, hielt den Mund.
Nachdem sie sich mit ihrer Rache an Leonhard so peinlich in die Nesseln gesetzt hatte, war sie etwas zurückhaltender geworden. Auch sie hatte das Internat für die Zeit der Frühjahrsferien verlassen.
Als der schwarze Maybach mit Patricia das Gelände der Schule verließ, hatte Frau Dr. Kirchheim-Zschiborsky erleichtert aufgeatmet.
Vor drei Tagen hatten Lara, Lena und Laura Wolle bei Madame Agnes abgeholt. Die alte Dame hatte die Mädchen gebeten, ihr den Hund für einige Tage abzunehmen. Manchmal war das Gassigehen mit dem temperamentvollen „Hündchen“ ihr, wie sie selbst sagte, „was viel“.
Die drei Mädchen wollten mal wieder bei der alten Villa vorbeischauen.
Auch wenn sie nicht darüber sprachen, hegten sie immer noch die verzweifelte Hoffnung, dort ihre Freunde zu finden, oder wenigsten einen Hinweis, der ihnen bei der Suche nach ihnen weiterhelfen könnte. Es war warm, die Sonne schien auf den mit Tannennadeln gefederten Waldweg.
Leises Knirschen bei jedem Schritt.
Licht und Schatten flimmerten auf den dunklen Baumstämmen. Wolle lief mit hängender Zunge aufgeregt hin und her, tobte um die Mädchen herum und konnte sich gar nicht beruhigen vor Freude. Tausend Gerüche lockten ihn, er schnüffelte sich durch den Wald und pinkelte an jeden Baum.
„Der läuft den Weg bestimmt dreißigmal ab“, lachte Laura, als Wolle zum x-ten Mal sein Stöckchen vor ihr ablegte.
„Da kann einem schon mal die Zunge zum Hals raushängen.“
Lena band sich ihre Jacke um die Hüften. Es war einfach zu warm. Selbst hier unter den Bäumen genügte ein T-Shirt.
Lara blieb plötzlich stehen. „Hört ihr das Rauschen auch?“
Der Himmel über ihnen verdunkelte sich für einen Moment und das Rauschen wurde lauter, als zwei mächtige Vögel mit weit ausgebreiteten Schwingen dicht über die Bäume flogen. Sie stießen einen seltsam klagenden Ruf aus und verschwanden. Der Waldweg lag wieder in der Sonne als habe es die Fabelwesen nie gegeben.
„Schaut euch mal Wolle an.“
Der Hund lag auf dem Waldboden, hatte den Kopf dicht an die Erde gepresst und beide Pfoten über die Augen gelegt. „Was war das denn?“ Lara fand ihre Stimme wieder. Sie sah
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