Faith (German Edition)
an den Rand des Canyon, der jetzt ihr Fürstentum von dem Leathans trennte.
Fassungslos betrachtete Annabelle im frühen Morgenlicht die Felsformationen, die sich vor ihr auftaten.
Die Reiter hielten, wie auf einer überlangen Perlenschnur aufgereiht auf ihren schneeweißen Pferden am Rand der tiefen Einschnitte.
Sie sahen die grau aufragenden Felsspitzen. Wände aus Stein, die den Canyon in weite Räume teilten.
Weit unten am Grund der Schlucht quoll schlammiges Wasser aus der Erde. Es schlängelte sich durch die breiten Einschnitte und verschlang die zerstörten Dörfer und Städte. Wälder und Weiden waren verschwunden.
Auf seinem Weg riss der steigende Fluss Tierkadaver und die Baumstämme der herabgestürzten Wälder mit sich.
Um das kilometerlange und ebenso breite Tal zwischen den Felsen zu durchqueren, musste man, auf schmalen Wegen, fast senkrechte Abhänge hinunter- und wieder hinaufklettern.
Für Reiter und Pferde ein mühsames, äußerst gefährliches Unterfangen. Es war nicht abzusehen, welcher Teil des Abhangs als Nächster in die Tiefe gerissen würde.
Mit ihren violetten Feenaugen konnte sie viele Kilometer entfernt, auf der gegenüberliegenden steilen Kante des Felsentals, die schwarzen Reiter ihres verhassten Zwillingsbruders erkennen.
Magalie fliegt
Seit Magalie das Medaillon trägt, fühlt sie sich wacher denn je, voll von pulsierendem Leben.
Sie fegt in ihrer blauen Wolke über Krater und Seen, über zerstörte Dörfer und noch glimmende Lava. Hoch oben über allem ist nichts zu spüren außer der wirbelnden, weichen Luft.
Magalie hat Chocolat stehen lassen.
Jenseits allen Lärms gibt es hier oben nur noch das Brausen des Windes.
Ein herrliches Gefühl, trotz der Gefahr in der sie alle, wie sie weiß, schweben, kostet Magalie diesen Moment aus und verdrängt den Gedanken an Leathan und dessen Machenschaften.
Es ist, als ob sie unter einer Glasglocke außerhalb der Zeit schwebt. Süchtig nach der Berührung des Windes auf ihrer Haut und dieser geräuschvollen Stille.
Ihr Blick fällt auf zwei Reiter, die weit unter ihr über verbrannte Erde galoppieren.
Als sie die roten Haare im Wind wehen sieht, weiß sie, dass die Realität sie eingeholt hat.
Ihre Tochter reitet ihrer Bestimmung entgegen und sie, ihre Mutter, kann nichts dagegen tun.
Jetzt muss sie Robert finden, bevor Annabelle ihn entdeckt.
Magalie riss sich aus dem Schwebezustand, in dem sie sich gerade noch befunden hatte.
Faith hatte ihre Abwesenheit genutzt, um sich auf den Weg zu machen.
Niemals hätte sie ihr zum jetzigen Zeitpunkt erlaubt, diese entsetzliche Prophezeiung zu erfüllen.
An ihrer Seite befand sich Richard. Magalie hatte zu keiner Zeit an ihm gezweifelt.
Sie spürte, dass er Faith liebte und sie niemals im Stich lassen würde.
Magalies Hände formten zwei Schalen. In Gedanken barg sie die beiden winzigen Gestalten dort unten darin, um sie zu beschützen.
Faith fühlte eine zarte Berührung und sah den duftigen blauen Schleier hoch oben am Himmel, der schnell verschwamm und sich dann gänzlich auflöste.
„Was ist?“
Richard sah sich nach Faith um, die plötzlich zurückblieb.
„Gar nichts.“
Faith trieb ihren Fuchs wieder an und ritt verwirrt, aber auch eigenartig gestärkt, neben Richard her.
Die Sonne schien gnadenlos vom Himmel, brachte die versengte Erde zusätzlich zum Glühen.
Faiths helles Leinenhemd blähte sich im aufkommenden kühlen Wind.
Schwarze Wolken türmten sich auf und schoben sich vor die Sonne.
Mit den ersten Blitzen, die über den jetzt fast schwarzen Himmel zischten, kam auch der Regen.
Die Dunkelheit, die sie jetzt umgab, wurde nur erhellt vom lodernden Feuer, das die gezackten Blitze in immer schnellerer Folge an den Himmel malten.
Das Krachen des Donners übertönte nicht ganz die merkwürdigen und beängstigenden Geräusche, die aus dem kleinen Gehölz, das sie passierten, zu ihnen drangen.
Schnattern, Bellen, Kreischen und dann diese schrecklichen Schreie.
Faith sah zwischen den Bäumen große affenartige Wesen, deren riesige Augen gelb und rot zwischen den Stämmen glühten.
Richard wurde blass. „Beeil dich.“
„Was ist das?“
Richard antwortete nicht. Er griff stattdessen in die Zügel ihres Pferdes und zerrte sie mit sich. Gemeinsam jagten sie am Saum des Waldes entlang.
Begleitet wurden sie von schwarz-weiß befellten Tieren zwischen den Bäumen, die drauf und dran waren, sich auf sie zu stürzen.
Richard riss sein Pferd so heftig zurück,
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