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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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ästhetikgestützten Rebellion. Ich rebellierte gegen fast
alles, was mich zu Hause umgab, also auch gegen die in der Wohnung nicht ganz
gleichmäßig, trotzdem reichlich verteilten Geschmacksverbrechen. Diese waren
erdrückend, weil unser einziger Familienhandwerker Onkel ONKEL war - und Onkel
ONKEL fand alles, was praktisch und billig war, zwangsläufig auch schön.
Gleichzeitig benutzte er beim Bauen und Basteln mit Vorliebe gefundene,
übriggebliebene oder einfach in Form und Beschaffenheit - also aus rein
technischer Sicht - geeignete Materialien, die er dann kunterbunt in- und
aneinanderfügte. Sein Ausbaueifer wurde leider viel zu spät eingedämmt und
strengeren Kontrollen unterworfen. Und wenn es später den Kollaps seiner
visionären Etagenheizung nicht gegeben hätte, hätte er vielleicht bis zum
bitteren Ende gewütet, möglicherweise seinen eigenen Sarg mit bunten
Zierleisten verunstaltet.
    Unsere
nicht zueinanderpassenden Schränke waren in puncto Stil, Alter oder
Abnutzungsgrad zu unterschiedlich, um ein harmonisches Bild abzugeben; sie
hatten es aber trotzdem nicht verdient, hinter derart dumm-heiteren
Sichtblenden gehalten zu werden. Manche dieser Schränke waren - samt ihren
Kratzspuren und Verletzungen - ausgesprochen reizend und hatten Charakter. Die
meisten ihrer Wunden waren mit der Zeit sowieso dank Staub, dank eingesaugter
Dämpfe und dank vieler Politurschichten längst geheilt. Dagegen konnte man
hinter den gemusterten Stoffen nur ganz üblen bis abartigen Monsterkram
vermuten, wenn nicht gar mumifizierte Leichen. Onkels Schrankmauer wurde
natürlich auch verhangen - dort, wo sich viel Kleinkram befand, sogar doppelt.
Im Zimmer eines meiner Schulfreunde standen ausnahmslos nur einfache alte
Möbelstücke, die meisten aus weichem Holz - und sie waren mit der gleichen
roten Ölfarbe bepinselt. Der nicht ganz fachmännische, nicht immer deckende
Anstrich und die vielen Farbtränen gehörten dazu. Ich war begeistert und ging
immer wieder hin, um diese mutige, zugleich auch einfach herzustellende
signalrote Harmonie zu genießen.
    Unsere
Vorhänge waren nicht nur konzeptionell eine Katastrophe und ein großer Irrtum,
sie hingen zu allem Unglück noch auf nicht ganz stabil angebrachten Stangen,
Leinen oder Leisten, auf denen die sozialistischen, nicht immer leicht gleitenden
Haken, Ringe beziehungsweise Rollen klemmten und sich stauten. Bei ruckartigen
Versuchen, diese trotzdem zu bewegen und den gestauten Stoff gerecht zu
verteilen, stürzten oft ganze Vorhangsysteme zu Boden. Daraufhin blickten einen
die entblößten Schränke bitterböse an - wie alternde Frauen, die sich ihrer
Körper bereits seit zwanzig Jahren schämen. Manchmal brachen bei den Abstürzen
eingegipste Verankerungen aus der Wand, ein andermal wurden sogar irgendwelche
Stützwinkel aus dem Edelholz der Schränke herausgerissen. An den metallischen
Klang einer im Bad überdurchschnittlich oft kollabierenden Stange kann ich mich
bis heute erinnern.
    Vorhänge
dienten bei uns manchmal auch als Ersatztüren einzelner Schränke, wenn ihr
Schließmechanismus kaputt war oder ihre Scharniere bei Karussellspielen der
kleinen Cousine endgültig nachgegeben hatten. Einmal sollten sogar auf meinen
eigenen Wunsch die Türen zweier (wieder mal geerbter) Schränke, die ich nach
der Rückkehr aus der Schule plötzlich in meinem Zimmer vorfand, durch Vorhänge
ersetzt werden. Die durchfallgelb lackierten Arme-Leute-Ungetüme waren so
häßlich, daß ich einen Verzweiflungsanfall bekam. Ihre Türen waren voller
Zierleisten und vorgetäuschter Schnitzereien, außerdem hatten sie in der oberen
Hälfte große verglaste Öffnungen; in das Glas waren Blüten und
Blätterkreationen geätzt. Als ich am Wochenende nicht zu Hause war - ich
absolvierte den üblichen Zwangsbesuch bei meinem Vater -, wurden die Türen
entfernt. Die an ihrer Stelle vom Onkel angebrachten Vorhänge waren natürlich
wieder geblümt. Zu verhindern war dies nicht - geeignete Stoffe waren bei uns
immer vorrätig.
    Mein und
Großmutters Zimmer wurde danach noch häßlicher, und es konnte mich nicht
trösten, daß in diesem Zimmer im Jahre 1948 eine ganze Weile die Baronin
Nädhernä gewohnt und sogar in meinem zukünftigen Bett geschlafen hatte. Sidi
war nach dem kommunistischen Umsturz und dem Verlust ihres Schlosses damit
beschäftigt, ihre Flucht nach England vorzubereiten und wichtige Bücher,
Dokumente und Schriftstücke - unter anderem auch Karl Kraus' Briefe, dieses
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