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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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sanfter. Die
Stühle kamen einem meistens unterhalb des Vorhangs langsam entgegengerutscht,
und man konnte sie dann mit einem gezielten Tritt wieder zurückdrängen. Ich
stand auf und richtete die Stühle auf - als ihre Füßchen aber unten wieder zu
rutschen begannen und ich mit Wut Vorhang trat, hielt es mein Besucher nicht
mehr aus und ging. Ich sah ihn nie wieder.
     
    ich
sah den untröstlichen penis in einer weiten, unwirtlichen höhle wedeln
    Zwischen
meinen vielen Tanten gab es nicht nur graduelle Unterschiede im
Verwandtschaftsgrad mir gegenüber, in erster Linie unterschieden sie sich
dadurch, wie sie den Krieg überlebt hatten. Meine Hauptgroßmutter Lizzy und
ihre beiden Schornstein-Töchter - also meine Mutter Anna und Tante Eva, die
Frau meines Schrankghetto-Onkels - waren in diversen Lagern gewesen, unter
anderem auch in Auschwitz. Meine slowakisch-ungarische Tante Györgyi war nach
Ungarn geflohen, hatte sich in Budapest versteckt und entkam Eichmanns
Transporten nur mit Hilfe ihres Schutzpasses von Wallenberg; ihre Tante
wiederum - ihre gleichaltrige »Urtante« Klara - war mit ihrem ganzen Schmuck
irgendwo in der Pußta untergetaucht und hatte vom Krieg nicht viel mitbekommen.
Meine nächste Tante Erna hatte den Krieg in England überlebt. Sie kannte das
Brummen der Vl-»Motorräder«, hatte vor allem die Momente verinnerlicht, wenn
der laute Membranenantrieb - weit oben in der Luft - aussetzte. Wirklich zugesetzt
hatten ihr dann später die V2-Raketen und die andauernd berstenden
Fensterscheiben. Man konnte sie daher mit jeder Art von Krach mit
Überraschungscharakter ärgern. Als Leidende durfte sie sich allerdings nie in
den Vordergrund spielen. Daß sie auch sonst zurückgepfiffen wurde, wenn sie
etwas erzählen wollte, hing aber eher damit zusammen, daß sie furchtbar naiv
war und oft Unsinn redete.
    Daß sie
dumm war, wurde ganz offen auch in ihrem Beisein besprochen. Sie war aber eine
schöne Frau und trumpfte trotz allem immer wieder auf - auch ohne einen
großartigen Leidensweg vorweisen zu können. Ihre Stärken waren der Zauber ihres
charmanten Lächelns und die Begabung, auf die Bedürftigkeit der Bedürftigen
einzugehen und gleichzeitig ihre Schadhaftigkeit zu ignorieren. Ernas neue
Bekanntschaften, denen ihr Mangel an Bildung und ihre Begriffsstutzigkeit noch
nicht aufgefallen waren, ließen sich von ihr gern beeindrucken und nebenbei
plump manipulieren. Erna spezialisierte sich bei der Kontaktsuche auf Menschen,
die aus uns vollkommen fremden Kreisen stammten, so daß wir immer wieder
ausgesprochen exotische Männer (»Das ist endlich der Richtige!«) zu sehen und
seltsame Splitter der damaligen Realität beinah zu riechen bekamen. Wir
erfuhren, daß es auf der Welt Spezialisten gibt, die sich mit dem Abzapfen von
Bullensperma beschäftigen, uns wurde klargemacht, daß Werkzeugmacher nichts mit
der Herstellung von Zangen oder Schraubenziehern zu tun haben, und wir erfuhren
endlich, daß unsere schmackhaft gewürzten Würstchen nebenbei aus
Schlachtabfall, Fettgewebe, Augen, Hautemulsion, verschimmelten Semmeln,
Knochenmehl, dem vollkommen anorganischen »A«-Gel und anderem Chemiedreck
bestehen.
    Tante
Bombe war in Theresienstadt immer wieder krank geworden - nicht ganz schlimm,
aber schlimm genug -, so daß sie allen Transporten entkommen konnte. Und sie
blieb dort bis zum Kriegsende. Die Kellertante Peprl wurde irgendwo auf dem
Lande in einem Schuppen versteckt, erzählte davon aber nie. Vielleicht gab es
darüber nicht viel zu erzählen.
    Von meinen
vielen Tanten entfernte sich keine Einzige aus der Gemeinschaft, die ganze Zeit
nicht. Sie fanden einander nach dem Krieg relativ schnell und schweißten sich
zu einem festen Schutzklumpen zusammen. Eine etwas minderwertige Sonderstellung
besaß die gerade erwähnte Tante Peprl, die ich bei der Aufzählung weiter oben
zum Glück nicht ausgelassen habe. Sie wohnte ganz allein im Souterrain und
verschwand aus meinem Bewußtsein oft für Wochen - wie eine Ausgelöschte. Der
Grund für das filmrissige Verhältnis zwischen uns wurde mir später etwas
klarer: Die Arme wurde ausgerechnet im Zusammenhang mit meiner Geburt
ausgesiedelt. Die leer gewordene, halbwegs in der Erdkruste steckende
Souterrainwohnung des ehemaligen Hauswarts wurde für sie, nachdem meine Mutter
von meinem noch anwesenden Vater geschwängert worden war, in Beschlag genommen
und renoviert. Wenn die Kellertante Peprl im Sommer hinter ihrem vergitterten,
ausnahmsweise aber

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