Faktor, Jan
Kontakte zu Tito-verdorbenen Jugoslawen verhaftet, verhört und in die
Provinz ausgespuckt. Diese Strafaktion hatte unser schöner Präsidenten Novotny
höchstpersönlich eingeleitet.
Nach dem
Einmarsch von Achtundsechzig avancierteKlaudius endgültig zum Regimegegner auf
Lebenszeit. Dank seiner Blindheit hatte er unter den Dissidenten eine
Sonderstellung - er wurde von der Staatssicherheit geschont, zum Ausgleich aber
um so mehr gehaßt. Trotzdem hielten viele Freunde weiter zu ihm - auch im
Verlauf der schärfsten Repressionen. Natürlich aber nicht alle.
- Letzte
Woche sind mehrere Leute an mir vorbeigelaufen, ohne zu grüßen ... kann ich
aber verstehen. Ich erkenne sie auch, wenn sie miteinander nur ganz leise
reden. Nachträglich hat sich bei mir einer entschuldigt - mit einem Zettelchen
im Briefkasten, sein Sohn will studieren.
Klaudius
hatte trotzdem genügend Verbündete. Er fand beispielsweise immer jemanden, der
ihm zu Hause vorlas. Daß sich oft ein Schwarm um ihn bildete, konnte man als
eine Art Kompensationsangebot verstehen. Klaudius war nach einem Unglück in der
Kindheit als einziger am Leben geblieben - als einziger aus seiner Dorfschule.
Als seine einklassige Schule einen Ausflug zum nahe gelegenen Fluß unternahm,
mußte er als Blinder zu Hause bleiben. Es herrschte Hochwasser, die Fähre, die
alle Kinder aufgenommen hatte, war überladen und ging mitten im Strom unter.
Danach war Klaudius in seinem Dorf als Kind praktisch allein.
In Prag
wollte er nie geführt werden, einhaken wollte er sich auch auf keinen Fall.
Beim Nebeneinanderschlendern reichte ihm offenbar die Infrarotstrahlung der
körperlichen 100-Watt-Birne, die Geräusche der Schritte und das Rascheln der
Kleidung. Wenn man die Richtung wechselte, ging er mit, reagierte so fein wie
ein mit dem Partner abgestimmter Profi-Tänzer. Als ich ihn einmal mitten in
einer Gruppe von Freunden laufen und gestikulieren sah, gesellte ich mich vorsichtig
hinzu und blieb erst einmal still - grüßte vor allem aus Scheu nicht gleich. So
bekam ich noch mit, wie er den Rest der Länder Afrikas aufsagte.
-
... Zaire, Angola, Sambia, Namibia, Botsuana ... Ich bat
die Männer mit einem Zeichen, ihn nicht zu unterbrechen.Er hatte, wie ich
später noch erfuhr, irgendwo an der geo-politisch schwierigsten Westküste
angefangen: Senegal, Gambia, Bissau, Guinea, Sierra Leone ... weiter über Togo
bis Königreich Dahomey, das inzwischen Benin hieß ... und im Anschluß an Kamerun
hatte er den ganzen Norden und Osten abgearbeitet, sich schließlich ins
Kontinentinnere durchgewühlt, allmählich dann in den Süden.
- Soll ich
noch alle asiatischen Flüsse aufzählen, bis mir auch der Letzte glaubt? sagte
er, nachdem er mit Swasiland und Lesotho die Aufzählung abgeschlossen hatte.
- Nein!
Wir wollten doch über den blöden Schwejk reden, sagte etwas ungeduldig sein
Freund, der Politologe H. - noch bevor ich den Mund aufmachen konnte.
- Ich
könnte euch gern auch den Verlauf der Ostfront beschreiben - vor Stalingrad
oder nach Stalingrad, egal in welchem Kriegsjahr oder Kriegsmonat.
- Du
wolltest doch selbst zu Schwejk ...
-
Natürlich! Ich habe mir neulich wieder mal den Schwejk vorgenommen - und zwar
gründlich. Wir sind aber mehr geworden, nicht wahr? Jemand läuft mit.
- Hier bin
ich, sagte ich nach zwei Schritten.
Er drehte
sich um und fand schnell meine Schulter, meinen Arm und natürlich auch meine
nach zwei Schritten in seine Dunkelheit ausgestreckte Hand. Seine Berührung zu
spüren war wieder ein kleines Erlebnis. Daß die Frauen es mochten, war kein
Wunder.
- Du
riechst ähnlich wie deine Mutter, Georg. Wann wurde dein barockes Tor gebaut?
Das weißt du aber längst ... Komm mit. Die ganze Welt ist von unserem Schwejk
immer so begeistert - und mir geht das schon lange auf den Geist. Es ist ein
Beispiel dafür, daß Literatur auch viel Schaden anrichten kann - sie kann den
Ruf ganzer Landstriche schädigen oder ein Volk in eine Schieflage bringen. Wir
als kleine Schwejks! - inzwischen ist dieser Irrtum mit uns verwachsen wie ein
schlecht plazierter Tumor. Zusätzlich geistern inden Hinterköpfen der Leute
auch noch die Figuren von Hrabal herum. Als Ausländer stellt man sich gern vor,
die Tschechen würden sich dauernd nur amüsieren, egal, wie scharf ihnen die
Jauche ins Gesicht geblasen wird. Dabei bringt sich hier dauernd jemand um -
oder emigriert und stirbt in München an seiner Verlorenheit. Und denjenigen,
die aus diesem Kessel unbedingt
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