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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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zu werden - lieber einen passenden Scherz.
Der sollte sie zwar treffen, er mußte aber einigermaßen harmlos sein - so daß
auch sie über ihn lachen konnte. Mit dieser Art Umgang konnten wir beide ganz
gut leben. Meine Mutter lachte gern - notfalls auch über sich selbst -, und mir
fiel es absolut nicht schwer, sie zu verspotten.
    Wir fuhren
in Richtung Norden, eine kleinere Landstraße lang. Es war eine Nebenstrecke,
die Onkel ONKEL angeblich oft nutzte. Auch mein Vater hatte sie mir einmal
angepriesen. Diese Strecke war kürzer als die von den meisten befahrene
Ausfallstraße, hatte allerdings einen unangenehmen Abschnitt, der mit großen
Schildern als »Unfallschwerpunkt« gekennzeichnet war. Auch Onkel hatte
wiederholt von den tückischen Gefahren gesprochen, die dort allen
unaufmerksamen »Sonntagsfahrern« drohten. Diese Straße ist in einem etwa fünf
Kilometer langen Abschnitt vollkommen gerade - und führt neben einer ebenfalls
schnurgeraden Eisenbahnstrecke entlang.
    - Die
Aufmerksamkeit läßt nach, und beim Überholen brauchten die Unerfahrenen
unbedingt mehr Bäume, um die Geschwindigkeit des Gegenverkehrs abschätzen zu
können.
    Mein Onkel
hatte recht. Meine Mutter und ich unterhielten uns, meine Aufmerksamkeit ließ
nach, und als uns eine junge Frau auf dem Fahrrad entgegenkam und mir Unmengen
an NACKTER HAUT zeigte, streifte ich leicht einen Pfeiler - zum Glück war
dieser nicht aus Stein, sondern aus Plastik. Meine Mutter begriff den
Zusammenhang natürlich sofort. Der frische Kratzer an der Autotür war zum Glück
kaum zu sehen. Und unser Bekannter war nicht engstirnig. Das Auto war sowieso
voller Verletzungen und hatte außerdem etliche naturbelassene Dellen, die an
den Knickstellen bereits rosteten. Wir fuhren weiter, und ich nahm mir vor, ab
sofort alles richtig zu machen. Ich hatte die ganze Strecke bis nach
Christianstadt genau studiert und mir die Nummern der einzelnen Landstraßen
notiert, mein Notizbuch und die Karten lagen allerdings noch auf dem Rücksitz.
Als sich die erste entscheidende Abfahrt näherte, sah ich, daß meine Mutter
eingeschlafen war. Das war ungünstig. Bei uns zu Hause galt der Schlaf als
etwas Heiliges und jemanden zu wecken als grausam. Ich hielt also nicht an und
bog ab, ohne nachzuschauen. Ich war mir sowieso sicher, den Weg kartographisch
gut im Gedächtnis zu haben - und das stimmte in diesem Fall auch. Einen bösen
Fehler beging ich erst viel später irgendwo in Liberec. Schon im Zentrum und
dann auch am häßlichen Stadtrand boten sich immer wieder Möglichkeiten zum
Abbiegen. Ich entdeckte aber überhaupt keine für mich relevanten
Richtungsschilder. Entweder waren sie gerade rostgeschwächt zu Boden gegangen
oder waren wenig intelligent angebracht - oder sie waren dermaßen verdreckt,
daß ich sie übersehen hatte. Einige andere Schilder, die lesbar waren, hatten
mit meiner geplanten Route wiederum nichts zu tun - schien mir jedenfalls. Ich
fuhr also einfach die Hauptstraße weiter, wunderte mich nur über ein
linksseitiges Flüßchen und die Position der Berge. Etwas später begann ich den
Ort Frydlant zu vermissen.
    An sich
hatten wir gar keinen zwingenden Grund, nach Polen anders als über die
polnische Grenze zu fahren - also direkt nach Norden. Jetzt waren wir leider
längst auf demWeg in die Deutsche Demokratische Republik. Die weiter westlich
liegende Wegvariante via DDR hatte ich bei der Planung längere Zeit sogar
favorisiert. Die Strecke wäre nicht wesentlich länger gewesen, die Straßen
eventuell besser - und Christianstadt lag beispielsweise in der Höhe der Stadt
Forst nur vierzig Kilometer hinter der Neiße. Meine Mutter wachte auf, zum
Umkehren hatte ich keine Lust mehr. Ich sagte ihr nur, ich hätte mich spontan
für eine andere Strecke entschieden. In Mutters verschlafenen Augen sah ich
etwas Angst, die steilen Hänge links und rechts der Straße hatten tatsächlich
etwas Bedrohliches, es begann zu regnen. Das ganze Bergtal sah an sich schon
wenig einladend aus, und wie freundlich uns die vor uns liegende DDR empfangen
würde, war unklar.
    Aber das
war lange nicht alles, was sich im voraus nicht abschätzen ließ. Aus dem ganzen
KZ-Bekanntenkreis meiner Mutter - die übriggebliebenen »Christianstadtmädels«
trafen sich regelmäßig - war in Christianstadt bislang niemand gewesen. Man war
stolz auf uns und hatte uns gutes Gelingen gewünscht. Ich bekam von den Damen
sogar einige Skizzen überreicht - leider stimmten diese Zeichnungen und

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