Faktor, Jan
rannten einige etwas
unvollständig angezogeneMänner heraus. Diese Verstärkung hatte
vorschriftswidrig keine Jacken an und kaute noch - ihre Waffen schien die ganze
Mannschaft aber auch beim Essen nicht abgelegt zu haben. Die bepistolten Männer
verstreuten sich im Gelände und kreisten meine Mutter ein.
Das Verhör
war kurz und schmerzlos, meine Mutter brauchte im Grunde nur ihre
Auschwitznummer an ihrem Unterarm zu zeigen. Wir bekamen Kaffee, und man bot
uns wunderbares Schwarzbrot an - leider waren die Scheiben mit einer Wurst
belegt, von der uns ein Schweinsgesicht anlächelte, und wir lehnten ab. Die
gutgemeinten Belehrungen nahmen nebenbei kein Ende. Als wir herauskamen,
erkannte ich das Auto nicht wieder. Eine andere Mannschaft - die technische
Abteilung offenbar - nahm es, so gut es ging, auseinander. Alle
Türverkleidungen waren abgenommen, alle Matten herausgerissen, Tank ausgepumpt,
Reservereifen abgezogen und ohne Luft. Korrekt wie sie waren, öffneten sie
unser Gepäck erst vor unseren Augen. Zusammenbauen sollte ich das Auto
anschließend selbst. Nach der Intervention eines Offiziers half man mir aber.
Wir
überlegten kurz, zurück nach Prag zu fahren, wollten aber keine Feigheit vor dem
Feind zeigen. Außerdem sah das Wetter wieder besser aus, und es gab auch die
Möglichkeit, Geld zu tauschen. Wir passierten die Grenze, und ich konnte
endlich in Ruhe meine Karten studieren. Die DDR-Route kam mir jetzt sogar
günstiger vor als die polnische, auf alle Fälle war sie weniger bergig. Die vor
uns liegende Strecke müßte außerdem eine gutausgebaute Hauptstraße sein. Auf
dem Weg lagen Zittau und Ostritz, nach Polen wollte ich anschließend über den
Grenzübergang in Görlitz. Und in Zgorzelec kämen wir dann wieder auf die
ursprünglich anvisierte Route zurück. Wir fuhren los und sahen uns unterwegs
alles neugierig und genau an.
- Das war
hier alles slawisch, dieses »-tz« ist eigentlich »-ce« wie Roudnice. Weiter
westlich endet wieder alles mit»ow«, lenkte meine Mutter das Gespräch vom
Eigentlichen ab - uns erwartete noch der nächste Grenzübertritt.
Nachdem
wir einige Ortschaften passiert hatten, bekam ich das Gefühl, im Land der
ostdeutschen Demokraten ginge irgend etwas streng Seltsames vor sich, was ich
aus meiner Heimat überhaupt nicht kannte. Hier schien die Realität dergestalt
zu stocken, daß sich alles Lebendige mehr oder weniger versteckt hielt, sich in
Behausungen einbunkerte oder in Erdlöchern einmietete. Und dort in den
Hohlräumen sich vielleicht zusätzlich das Schrumpfen verordnete oder sich für
den Wiedereintritt in die Oberflächenatmosphäre darin übte, durchsichtig zu
werden. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, alle potentiellen Zuckungen und
Regungen würden sich, falls es sie da oder dort eventuell gab, meinen egal wie
weitwinklig schweifenden Blicken und meinen gezielten Fokussierungen geschickt
entziehen. Aber woher kam diese Leere tatsächlich? Alles Lebendige konnte sich
doch nicht die ganze Zeit mit Erdwühlen, Schrumpfen oder mit transluzidmachendem
Lichtfluten beschäftigen. Mir fiel noch eine weitere Erklärungsvariante ein:
Alles zuckend Lebendige könnte eventuell mit Spezialbulldozern zur Seite
geschoben, sauberkantig geschichtet auf Paletten verladen und weitab aller
Ausflugsstrecken abgestellt worden sein.
Ich kannte
das flache Land DDR im Grunde nur vom Zug aus, war dort nie quer durch kleine
Städte und Dörfer gefahren. Wie paradigmatisch der menschenleere Alexanderplatz
war, konnte ich nicht ahnen. Jetzt sah ich, daß auch auf zentral liegenden
Marktplätzen oder singulären Hauptstraßen kleiner Dörfer genau die gleiche
Leere um sich griff. Zusätzlich wirkte auch die flächendeckende zwanghafte
Ordnung und Sauberkeit - trotz lokal begrenzter baulicher Mängel -
undurchschaubar beängstigend. Meine alte Alexanderplatz-Beklemmung war wieder
vollständig wach. Die Vorgärten wirkten wie gekämmt, häßliche Zäune
warenschmuck gestrichen, Auffahrten abgezirkelt und alles übrige ähnlich
perfekt geglättet und saubergefegt. Und wenn ich das Auto abbremste und genauer
hinsah, entdeckte ich in den vorgelagerten Gärten tatsächlich keinen einzigen
Unkrauthalm, keine abgefallenen Blätter oder vertrockneten Blütenblättchen.
Deutscher Boden - ALLES SCHWARZ! Auf einem Grundstück sah ich einige
großgewachsene Tannen, also ein kleines Wäldchen - und der Boden dieses
Wäldchens machte allen Ernstes einen fast besenreinen Eindruck. Ich hielt an
und
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