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Faktor, Jan

Faktor, Jan

Titel: Faktor, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georgs Sorggen um die Vergangenheit
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immer zu ihr kommen und ihr den
Griebs einfach in den Mund schieben. Sie zerkaute ihn vor unseren Augen bis auf
den Stengel und schmatzte danach demonstrativ. Später konnte ich mich als
bescheidener Helfer zum Glück revanchieren. Lizzv ließ sich von mir und nur von
mir ihre zunehmend borstigen Härchen aus ihrem Kinn zupfen. Ich machte diese
Arbeit gern, und irgendwann wurde ich unersetzbar - alle anderen trauten sich
einfach nicht, ihr beim Ziehen ihrer Borsten weh zu tun. Und es tat ganz sicher
weh, egal, wie Lizzy es bestritt. Die Tränen kullerten ihr aus beiden Augen,
wenn ich mich an ihr zu schaffen machte. Sie lächelte dabei trotzdem liebevoll
und beruhigte mich. Ihr leichtes Schnurrbärtchen ließen wir nach einer
gründlichen Beratung allerdings lieber in Ruhe. Ihr Kinn säuberte ich dafür
gründlichst, arbeitete mich auch noch weiter nach oben neben Lizzys Mundwinkel,
auf dem Kinn entfernte ich auch alle feineren Härchen. Die starken Borsten, die
immer unbedingt gezupft werden mußten, offenbarten tiefe, gut sichtbare
Porenlöcher. Ich fand Lizzy trotz allem wunderschön, sie sah - mit oder ohne
Kinnhärchen - sowieso immer wie eine kultivierte Dame aus und blieb es auch in
ihren von ihr nicht wegzudenkenden Küchenschürzen. Sie war mir für meine
Dienste sehr dankbar, freute sich über diese Verjüngungskuren regelmäßig - steigerte
sich darin sogar. Und sie genoß einfach auch die Zeit, die wir miteinander auf
diese Weise schmerz- und freude-intensiv verbringen konnten, körperlich so nah
beieinander. Kurz nach der Entborstung ging sie zum Friseur und kam mit einem
ondulierten Kopf wieder heim, oft hatte sie sich ihre grauen Haare sogar mit
einer lila Tönung veredeln lassen. Sie wollte mir gefallen, und ich verriet ihr
nicht, daß sie sich - was mich anging - den Friseur manchmal auch hätte sparen
können. Ich umarmte sie und sagte, sie sei wunderschön mit ihren Wellen und
ihrem lila Schimmer. Danach strahlte sie noch heller als sonst und war
überglücklich. Viel mehr verlangte sie von mir nicht. In ihrer Selbstlosigkeit
stellte sie nie besondere Forderungen, mein pures Ich war für sie als Geschenk
des Himmels ausreichend.
    Meine
Mutter war meine Ernährerin und war ein ebenmäßiges Naturwunder, da sie aber -
wie gesagt - zu oft pausierte und sich manchmal furchtbar tyrannisch benahm,
konnte sie niemals ein wirklich schattenloses Liebesobjektabgeben. Ich hob
meine Großmutter Lizzy auf diese vakant gewordene Stelle - mit einer gezückten
Pinzette in der Hand, umsichtig und libidinös ungeschützt. Später begann ich zu
ahnen, daß ich hier vielleicht nach der Erklärung für meine wildstreunende
Begeisterung für die Schönheit älterer Frauen suchen könnte.
    Manchmal
kam Lizzy unverhofft zu mir und sagte, sie wolle sich kurz ausruhen. Ich lag
oft auf meinem Bett - wenn es nicht zu kalt war, konnte ich dort am besten
lesen. Da Lizzy Angina pectoris hatte, für Teile der Familie trotzdem pausenlos
im Einsatz war und oft schwere Taschen oder Wäschepakete schleppen mußte,
überkamen sie manchmal kleine Erschöpfungsanfälle. Beim Abendbrot kippte sie
manchmal vor Müdigkeit plötzlich zur Seite. Sie hätte sich viel öfter ausruhen
sollen, meinten alle. Wenn sie zu mir kam, um sich auszuruhen, war es mir eine
Freude, sie zu empfangen.
    - Leg dich
ruhig hin, sagte ich und wußte genau, was sie vorhatte.
    Sie wollte
sich nur kurz zu meinen Füßen legen, quer über das Bettende - bei ihrer Kürze
und mit ihrem etwas gekrümmten Rücken paßte sie ohne Probleme dorthin.
    - Wie ein
Hündchen, sagte sie selbst.
    Sie legte
sich hin, ich las weiter und bewegte mich nicht. Danach wurde es sehr still.
Lizzy lag bequem und schön entspannt, sie zappelte nicht, rutschte nicht vom
Rand, auch ihre Glieder machten sich nicht selbständig - und sie störte mich
tatsächlich nicht. Ihr eigenes Bett, das bedeckt im gleichen Zimmer stand,
blieb unberührt. Sie atmete in ihrer Embryonalstellung oft so leise, daß ich
Angst um sie bekam, oft hörte ich aber bald schon ihr zartes Schnarchen und
sah, wie sich ihre Gesichtsmuskulatur lockerte - sie glich eher einer Katze als
einem Hund. Als Frau war sie schon eine Ewigkeit allein. Ihren Mann - sein
familiärer Kosename war Papilla - hatte sie nie aufgehört zu liebenund ihn wie
einen Halbgott zu verehren. Er war derjenige der drei Schornsteinbrüder, der
auf uns pausenlos vom Himmel hinuntersah. Seine Brüder taten es seltsamerweise
nicht. Papilla war noch in

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