Faktor, Jan
einer glücklicheren Zeit bei einer riskanten Abfahrt
in den Alpen gestorben.
So lagen
wir beide auf dem Bett, in dem schon Baronin Nädhernä geschlafen hatte. Und
wenn Karl Kraus vorbeigekommen wäre, hätte er sich über unsere zarte Symbiose
sicher gefreut. Lizzys Nickerchen waren nie ausgedehnt, sie stand bald wieder
auf und ging kochen oder nähen oder räumen. Ich konnte mich etwas ausstrecken.
Ich hatte nie das Gefühl, viel im Leben für sie getan zu haben, sie schätzte
meine gelegentliche Gastfreundschaft und meine kleinen Dienste, die ich mit der
Zeit um das Servieren von ausgelöffeltem Grapefruitfleisch leicht erweitern
konnte, aber trotzdem sehr hoch. Wenn sie krank war, ließ sie sich nicht gern
von anderen bedienen, sie pflegte sich am liebsten allein - leise, unauffällig,
sie klagte nie. Um ihre Genesung voranzubringen, badete sie so lange im heißen
Wasser, bis sie im Gesicht rot wurde wie ein Krebs - und am nächsten Tag war
sie in der Regel tatsächlich wieder gesund und voller Optimismus. Ihren
Optimismus versuchte sie sowieso in jeder Lebenslage zu wahren. Auch ihr erster
Eindruck von Auschwitz war seinerzeit - trotz einiger Auffälligkeiten - nicht
der schlechteste. Nach einem kurzen Blick aus der Fensterluke sagte sie zu
ihren Töchtern noch im Viehwaggon:
- Hier
wird es gut sein.
er
sparte sich im geheimen einen schätz zusammen
Wir hatten
nie viel Geld, bei uns sah es immer etwas ärmlich aus, meine Tantendamen
empfanden sich allerdings nie als arm. Sie konnten sich zwar nicht viel
leisten, trotzdem gaben sie ihr Geld, wenn welches da war, liebend gern aus -
mit dem befriedigenden Gefühl, anderen Menschen dadurch etwas zukommen lassen
zu können. Die Fabrik, die einem Teil der Familie - im Grunde also uns allen -
vor dem Krieg gehört hatte, war natürlich ein staatlicher Betrieb geworden, und
wie wir alle wußten, gab es dort nur Chaos und die sozialismus-üblichen
Produktions-, Qualitäts- und Lieferprobleme. Die ganze Frauenschar war
überglücklich, mit diesem Dauerärgernis nichts zu tun zu haben. Meine Damen
hatten sich nicht einmal unmittelbar nach dem Krieg - noch vor dem großen
Zugriff des Volkes, also dem Massenraub von 1948 - bemüht, die Fabrik
zurückzufordern. Dazu fehlten ihnen einerseits die Männer, andererseits wußte
man, wie irrelevant bis lästig der immobile Besitz in Krisenzeiten sein kann.
Die Damen forderten damals - Karl Marx stand bei uns lange hoch im Kurs - nicht
einmal ihre (unsere!) prächtigen Mietshäuser zurück. Sie überließen sie der
Allgemeinheit, ohne lange zu überlegen. Sie meinten zu wissen, wem die Zukunft
gehören würde: dem Sozialismus natürlich. Daß ihm konsequenterweise später der
Kommunismus folgen würde, hatte doch Karl Marx, unser zweitklügster Jude nach
Jesus Christus, wissenschaftlich und zweifelsfrei bewiesen. Um uns herum gab es
aber auch andere Stimmen.
- Glaubt
ihr ernsthaft, daß dieser verbitterte Mensch mit Blut und Eiter am Anus der
Menschheit wirklich Glückwünschen konnte? Ein Slawenhasser und Rassist war er
obendrein.
Marx hin
oder her: Meine Damen fühlten sich ausreichend reich - auch ohne Geld und ohne
jegliche Ausbeutungsmöglichkeiten der Arbeiterklasse, einfach aus Gewohnheit.
Und dieses Gefühl sollte sie nie verlassen. Die meisten von ihnen waren früher
sogar sehr reich gewesen - besser gesagt: einer ihrer Nächsten war es
tatsächlich. Und sie kannten es gar nicht anders. Außerdem wurden sie zur
Noblesse erzogen und waren es gewohnt, sich in Gesellschaft immer zurückhaltend
zu benehmen. Und vornehm, wie man war, protzte man mit dem Reichtum nicht wie
ein Parvenu. Dabei blieb es dann auch ohne Besitz. Dazu fällt mir folgendes
ein: Daß unsere Totenmaske von Karl Kraus bei Freunden in New York
zwischengelagert worden war und dort nach dem Krieg auch blieb, schien für alle
vollkommen in Ordnung zu sein - sie gehörte uns trotzdem weiter.
Weil in
unserer Wohnung tatsächlich einige wertvolle Möbelstücke herumstanden, konnten
sich dort meine Damen mit etwas Phantasie wie in einer traditionsreichen und
für sie angemessenen Bleibe vorkommen - egal, wie abgeschabt, durchgewetzt oder
beinschwach die Wohnungseinrichtung inzwischen war. Manche
Einrichtungsgegenstände, Teppiche zum Beispiel, bekamen einige der Tanten von
ihren ehemaligen Nachbarn tatsächlich wieder, das meiste, was bei uns nach der
großen Kriegsrochade herumstand, stammte allerdings - wie berichtet - von
vertriebenen Deutschen.
Ich
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