Falaysia - Fremde Welt: Band 1 (German Edition)
dem Busch neben der Treppe saßen, auch nur einen letzten Blick zu schenken. Sie waren ihm egal – alle.
2
E s war lange Zeit her, dass Melina sich so gefühlt hatte, wie sie sich jetzt fühlte. Allein. Traurig. Besorgt. Und dann war da dieses scheußlich schlechte Gewissen, das sie plagte und dieses schmerzhafte, tiefe Loch in ihre Körpermitte grub, in das sie unaufhaltsam hineingesogen zu werden schien. Hinein in diese dunklen Erinnerungen, die sie so tief in ihrem Inneren vergraben hatte und denen es sonst nur immer nachts gelang, sie heimzusuchen. Nun überfielen diese sie auch am Tage, ohne Vorwarnung, waren herbeigerufen worden von diesem… diesem Teufel , vor dem sie sich für so lange Zeit erfolgreich hatte verstecken können.
Die Vergangenheit ließ sich eben nicht so einfach abschüttelten, holte einen irgendwann immer ein – vor allem, wenn es da noch Dinge gab, die bis in die Gegenwart und Zukunft nachwirkten; Dinge, die man nicht beendet, Menschen, die man im Stich gelassen hatte, weil man verzweifelt war, nicht mehr gewusst hatte, wie man ihnen helfen sollte.
Schlimme Dinge waren geschehen. Dinge, die sie mitverursacht hatte, an denen sie schuld war. Melina war damals sehr jung gewesen, doch nicht jung genug, um sich von ihrer Schuld frei zu sprechen. Anfang zwanzig besaß man eigentlich schon genug Verstand und Lebenserfahrung, um zu erkennen, wem man vertrauen konnte und wem nicht, was Recht und Unrecht war und wann man ein Risiko einging, das nicht mehr tragbar war.
Natürlich konnte man sagen, dass sie nicht ganz bei sich gewesen war. Wenn man verliebt war, neigte man dazu, alle Vernunft zu vergessen, Dinge zu tun, auf die sich ein Mensch bei Verstand gar nicht einlassen würde. Und sie war verliebt gewesen – so furchtbar verliebt, dass ihr der Rest der Welt völlig egal gewesen war, selbst ihre eigene Familie.
Melina nahm einen schweren Atemzug, ergriff das Foto, das sie vor einer Weile vor sich auf den Tisch gelegt hatte und lehnte sich auf der Couch zurück, um es noch einmal schweren Herzens zu betrachten. Es zeigte sie selbst mit ihren beiden Schwestern und deren Kindern. Sie saßen im Garten ihrer Mutter am Kaffeetisch, lachten und alberten herum. Jessie, Anna und sie hatten sich immer so gut verstanden, hatten alles miteinander geteilt, waren füreinander eingestanden… bis er gekommen war und ihrer aller Leben zerstört hatte.
Melinas Augen begannen sich mit Tränen zu füllen. Ihre geliebten Schwestern Anna und Jessie… Heute war Anna tot und Jessie redete seit Jahren nicht mehr mit ihr. Sie gab Melina die Schuld an dem Tod ihrer ältesten Tochter Sara und im Grunde hatte sie damit Recht. Im Grund war Melina daran schuld. Auch wenn sie anfangs nicht gewusst hatte, auf was sie sich da einließ… und auch wenn Sara ihnen ihre Hilfe förmlich aufgedrängt hatte, gegen Melinas Willen…
Melinas Herz schnürte sich zusammen, als weitere Erinnerungen unaufhaltsam und gnadenlos über sie hereinbrachen, sie das lachende Gesicht des Mädchens vor sich sah… diese freudige Aufregung in ihren Augen… Sie hatte nicht geahnt, was mit ihr passieren würde. Niemand hatte das geahnt – außer ihm ! Melina schloss die Augen und fühlte, wie ihr die ersten heißen Tränen die Wangen hinunterliefen.
„Wenn du dich jetzt da rausziehst, wird sie nie wiederkommen!“ hatte er gesagt. „Es ist deine Pflicht, sie da rauszuholen, Mel!“
Natürlich hatte er sie damit bekommen. Sie hätte damals alles getan, um Sara zu helfen, sie zu retten. Und im Grunde genommen hatte sie das auch, hatte ein weiteres Mal die Grenze überschritten und zum ersten Mal bewusst einen anderen Menschen manipuliert und sein Leben aufs Spiel gesetzt. Sie hatte die Naivität und die Liebe eines Jungen ausgenutzt, der einfach nur hatte helfen wollen, hatte ihn ebenfalls in diese schreckliche Welt geschickt, um Sara zu retten. Sie hatte sich weiter von Demeon leiten, sich dazu anstiften lassen, Böses im Namen des Guten zu tun und ihm allein mit ihrem Verhalten gezeigt, dass er mit seinen Theorien über das Gute und Böse Recht hatte.
Es hatte lange gedauert und Sara erst das Leben kosten müssen, bis sie begriffen hatte, dass sie keine Chance gegen diesen Mann hatte, dass sie gegen ihn nur bestehen, ihn nur davon abhalten konnte, weiter sein Unwesen zu treiben, indem sie sich ihm entzog, sich nicht weiter von ihm manipulieren ließ. Sie hatte den Jungen im Stich lassen müssen und damit
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