Falaysia - Fremde Welt: Band 1 (German Edition)
Leben hasste! Nicht immer, aber es gab Phasen in seinem Leben, in denen er sich wünschte, einfach so aus seinem Körper steigen zu können und diese verfluchte Welt zu verlassen. Und gerade jetzt befand er sich in einer dieser Phasen. Er hatte das Frühjahr über bei verschiedenen Bauern gearbeitet, jeden Monat seinen Standort wechselnd, und sich einige Dukaten verdient. Damit würde er für eine Weile über die Runden kommen, konnte wieder durch die Lande ziehen, hier und dort für ein paar Tage bleiben und vielleicht den einen oder anderen Job annehmen. Die Zeit der harten Arbeit war vorbei. Die Saat war gesetzt und die Felder bearbeitet – erst im Spätsommer würden die Bauern wieder Hilfe brauchen und bis dahin konnte er sich wieder zurückziehen, seine Freiheit und Unabhängigkeit genießen und seine selbst auferlegte Einsamkeit zelebrieren.
Der Kontakt mit anderen Menschen war ihm über die langen Jahre der Einsamkeit ein Gräuel geworden und dennoch sehnte er sich nach ihnen – nach jenen, die er so oft so verachtete. Es gab einige Menschen, über die Lande verstreut, die so etwas wie Freunde für ihn waren, die ihn immer, wenn er in ihrer Nähe auftauchte, gerne sahen und zu sich einluden. Doch die meiste Zeit ging er selbst diesen Menschen, die ihm so gut gesonnen waren, aus dem Weg, denn sie erinnerten ihn an Zeiten und Personen, die er vergessen wollte, an Geschehnisse, die weit zurückzuliegen schienen und doch so nah waren, weil sie immer wiederkehrten, in seinen Alpträumen und trübsinnigen Gedanken.
Diese furchtbaren Erinnerungen waren es, die ihm immer wieder so zu schaffen machten, dass er weder schlafen noch essen noch hoffen konnte – hoffen, eines Tages wieder ein halbwegs zufriedenes Leben zu führen oder vielleicht sogar wieder glücklich zu werden. Und sie machten sein Leben, dieses sinnlose, leere Dasein manchmal fast zu einer Qual, gerade wenn sein Körper durch die harte Arbeit auf dem Feld geschwächt und ausgemergelt war und seine Ängste und Trauer ein solches Ausmaß annahmen, dass er das Gefühl hatte, seine Seele würde von innen her völlig zerfressen werden. Gerade in diesen Phasen seines Lebens brauchte er Ruhe und viel Schlaf, um wenigstens wieder halbwegs zu einem normalen Menschen zu werden.
Leon hielt sich die Ohren zu, als das Grölen der Männer erneut anschwoll. Der Wachmann hatte anscheinend wieder gewonnen, aber das interessierte Leon nicht sonderlich. Er fand diese Kraftprotzerei idiotisch. Als ob Stärke das Einzige war, worauf es im Leben ankam. Wenn diese Männer mehr Hirn besäßen, müssten sie sich nicht mit solch erbärmlicher Arbeit herumschlagen und würden stattdessen ordentlich viel Geld mit dem Handel oder anderen gewinnbringenden Dingen verdienen. Sie waren gesund und kräftig und psychisch stabil… fast beneidete er sie…
Es gab in diesen Tagen jedoch nur wenige, denen es tatsächlich besser ging als Leon selbst. Er ließ seinen Blick über die Gesichter der Menschen gleiten, die sich in der Wirtsstube befanden. Wirklich glücklich und zufrieden sah hier keiner aus, auch wenn viele darum bemüht waren, gute Laune zu verbreiten. Doch die meisten wirkten dennoch müde und erschöpft, frustriert von ihrer erbärmlichen Existenz. Hier ertränkten sie ihre letzten Hoffnungen und ungelebten Träume im Alkohol, grölten herum, bemitleideten sich gegenseitig oder schockierten die anderen mit neuen gruseligen Geschichten über die wilden Menschen aus dem Osten und über die neuen Unruhen, die sich im ganzen Land auszubreiten schienen wie eine gefährliche, tödliche Krankheit.
Leon beobachtete dies alles distanziert und mit schlechter Laune. Er war zwar selbst eine dieser unglücklichen, traurigen Gestalten, aber er war noch nicht verzweifelt genug, um sich diesen Leuten anzuschließen und sein Leben im Alkohol zu ersäufen. Es war zwar ein einsames, ebenso erbärmliches Leben, aber es war ein Leben !
Plötzlich entdeckte er in der Menge eine Gestalt, die ihm vertraut vorkam. Es war ein kleiner, schmächtiger Mann mit einem aufgeweckten Gesicht, der sich mühsam zwischen den massigen, schwitzenden Leibern der anderen Gäste hindurch kämpfte und direkt auf ihn zukam. Er rief ihm etwas zu und lächelte. Komisch, Leon hatte kein einziges Wort seines Freundes verstanden. Dabei war dieser gar nicht mehr weit von ihm entfernt.
Es dauerte nicht lange und Tido hatte keuchend seinen Tisch erreicht. Er wischte sich über die schweißbedeckte Stirn und grinste
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