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Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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sich auch verstellen mag. Anne hätte sich verstellen sollen, hat Lady Rochford ihm erklärt: In ihrer ersten Nacht mit dem König hätte sie die Jungfrau spielen, starr daliegen und weinen sollen. »Aber, Lady Rochford«, hatte er eingewandt, »solcher Angst gegenüber könnte jeder Mann zögern. Der König ist kein Vergewaltiger.«
    Also gut, entgegnete Lady Rochford, dann hätte sie ihm wenigstens schmeicheln sollen. Wie eine Frau, die eine glückliche Überraschung erlebt, hätte sie sich verhalten sollen.
    Ihm gefiel das Thema nicht. Er spürte in Lady Rochfords Ton die merkwürdige Grausamkeit der Frauen. Sie kämpfen mit den schwachen Waffen, die Gott ihnen gegeben hat – Bosheit, Tücke und dem Talent zu betrügen –, und es ist wahrscheinlich, dass sie im Gespräch unter sich auf Gebiete vordringen, auf denen ein Mann sich niemals sicher fühlen würde. Der Körper des Königs ist grenzenlos, im Fluss, wie sein Reich: Er ist eine Insel, die anwächst oder erodiert, deren Materie ins Wasser gespült wird, in Salz- und Süßwasser. Die Polderküsten hat, Sumpfgebiete und wiedergewonnene Ränder. Gezeiten, Ausflüsse und Ergüsse, Morast, der in die Gespräche der Engländerinnen schwappt, und dunkle Suhlen, in die nur Priester waten sollten, Binsenfackeln in der Hand.
    Die Brise über dem Fluss ist kalt, der Sommer noch Wochen entfernt. Anne betrachtet das Wasser. Sie blickt auf und sagt: »Wo ist der Erzbischof? Cranmer wird mich verteidigen, wie alle meine Bischöfe. Sie verdanken mir ihre Beförderung. Holt Cranmer, und er wird schwören, ich bin eine gute Frau.«
    Norfolk beugt sich vor und sagt ihr ins Gesicht: »Ein Bischof würde dich anspucken, Nichte.«
    »Ich bin die Königin, und wenn Sie mir etwas antun, wird ein Fluch über Sie kommen. Es wird kein Regen fallen, bis ich wieder frei bin.«
    Ein leises Stöhnen von Fitzwilliam. Der Lordkanzler sagt: »Madam, es ist derlei törichtes Gerede über Flüche und Verwünschungen, das Sie in diese Lage gebracht hat.«
    »Oh? Ich dachte, Sie hätten gesagt, ich sei eine Betrügerin – bin ich jetzt auch noch eine Hexe?«
    Fitzwilliam sagt: »Wir haben das Thema Flüche nicht aufgebracht.«
    »Sie können nichts gegen mich tun. Ich werde einen Eid schwören, dass ich die Wahrheit sage, und der König wird mir zuhören. Sie haben keine Zeugen. Sie wissen ja nicht mal, wie Sie mich anklagen sollen.«
    »Sie anklagen?«, sagt Norfolk. »Warum Sie anklagen, frage ich mich. Es würde uns viel Ärger ersparen, wenn wir Sie einfach über Bord werfen und ertränken würden.«
    Anne sinkt in sich zusammen. So weit von ihrem Onkel entfernt wie nur möglich, hockt sie da und sieht nicht größer aus als ein Kind.
    Als die Barke am Landungssteg des Königs festmacht, sieht er Kingstons Stellvertreter, Edmund Walsingham, der den Blick über den Fluss gleiten lässt, im Gespräch mit Richard Riche. »Purse, was machen Sie hier?«
    »Ich dachte, Sie würden mich vielleicht hierhaben wollen, Sir.«
    Die Königin betritt trockenen Boden und hält sich an Kingstons Arm fest. Walsingham verbeugt sich vor ihr. Er wirkt aufgeregt, sieht sich um und weiß nicht, an welchen der Räte er sich wenden soll. »Sollen wir die Kanone abfeuern?«
    »Das wäre das Normale«, sagt Norfolk. »Oder? Wenn eine bedeutende Persönlichkeit gebracht wird, nach dem Willen des Königs. Und sie ist bedeutend, nehme ich an?«
    »Ja, aber eine Königin …«, sagt der Mann.
    »Feuern Sie die Kanone ab«, verlangt Norfolk. »Die Londoner sollten Bescheid wissen.«
    »Ich glaube, das tun sie längst«, sagt er. »Hat Mylord sie nicht am Ufer entlanglaufen sehen?«
    Anne hebt den Blick und lässt ihn über das Mauerwerk über sich gleiten, die schmalen Fenster und die Gitter. Es gibt keine menschlichen Gesichter, nur das Schlagen eines Rabenflügels und dessen Stimme über ihr, die überraschend menschlich klingt. »Ist Harry Norris hier?«, fragt sie. »Hat er meinen Namen nicht reingewaschen?«
    »Ich fürchte, nein«, sagt Kingston, »und auch seinen eigenen nicht.«
    Da geschieht etwas mit Anne, das er später nicht ganz verstehen wird. Sie scheint sich aufzulösen und ihnen zu entgleiten, aus Kingstons und seinen Händen, sie scheint sich zu verflüssigen, sich ihnen zu entziehen, und als sie erneut die Gestalt einer Frau annimmt, kniet sie auf allen vieren auf dem Pflaster, den Kopf zurückgeworfen, und wimmert.
    Fitzwilliam, der Lordkanzler und selbst ihr Onkel treten zurück. Kingston legt

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