Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falken: Roman (German Edition)

Falken: Roman (German Edition)

Titel: Falken: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
zurückgelassen hat, ist sie eine Hochstaplerin – wie ein Kind oder Hofnarr, gekleidet in die Kleider einer Königin, in den Räumen einer Königin. Sie weiß, Ehebruch ist eine Sünde und Hochverrat ein Verbrechen, aber auf der Verliererseite zu stehen, ist ein noch größerer Makel.
    Richard steckt noch einmal den Kopf herein und sagt: »Ihr Brief, soll ich ihn für Sie schreiben? Um Ihre Augen zu schonen?«
    Er sagt: »Anne hält sich für tot. Wir werden keine Schwierigkeiten mehr mit ihr haben.«
    Er hat den König gebeten, in seinen Gemächern zu bleiben und so wenig Leute vorzulassen wie nur möglich. Die Wachen hat er strikt angewiesen, alle Bittsteller abzuweisen, ob Mann oder Frau. Er will das Urteil des Königs nicht, wie es geschehen könnte, vergiftet sehen, weil jemand zu ihm durchgedrungen ist. Er will Henry nicht überredet, beschwatzt oder vom Kurs abgebracht sehen. Henry scheint geneigt, ihm zu gehorchen. In den letzten Jahren hat sich der König mehr und mehr dem Blick der Öffentlichkeit entzogen: zunächst, weil er bei seiner Konkubine Anne sein wollte, dann, weil er nicht mehr bei ihr sein wollte. Hinter Henrys Gemächern liegen seine geheimen Zimmer, und manchmal, wenn er in sein großes Bett gebracht und die Bettstatt gesegnet worden ist, wenn die Kerzen erstickt sind, schiebt er die Damastdecke zur Seite, stellt die Füße auf den Boden und tappt in sein geheimes Schlafzimmer, wo er in ein anderes, nicht offizielles Bett kriecht und wie ein normaler Mann schläft, nackt und allein.
    Eingehüllt in das Schweigen dieser geheimen Räume, die mit Teppichen vom Sündenfall behängt sind, sagt der König zu ihm: »Cranmer hat einen Brief aus Lambeth geschickt. Lesen Sie ihn mir vor, Cromwell. Ich habe ihn mir bereits einmal vorlesen lassen, aber lesen Sie ihn noch einmal.«
    Er nimmt das Blatt. Man kann fühlen, wie Cranmer immer kleiner wird, während er schreibt, wie er hofft, dass die Tinte verläuft und die Worte verwischen. Anne, die Königin, hat ihn gefördert, Anne hat auf ihn gehört und die Sache des Evangeliums unterstützt. Anne hat ihn auch benutzt, doch das begreift Cranmer nicht. »›Ich bin so bestürzt‹«, steht dort, »›dass ich verwundert staunen muss, hatte ich doch nie eine bessere Meinung von einer Frau als von ihr.‹«
    Henry unterbricht ihn. »Sehen Sie, wie wir alle getäuscht worden sind.«
    »›… was mich denken lässt‹«, liest er, »›dass sie nicht schuldig sein sollte. Und doch denke ich, Ihre Hoheit wäre nicht so weit gegangen, wäre sie nicht sicher schuldig.‹«
    »Warten Sie, bis er alles hört«, sagt Henry. »Er wird dergleichen noch nicht erlebt haben. Wenigstens hoffe ich das. Ich denke, es hat auf dieser Welt nie einen Fall wie diesen gegeben.«
    »›Ich denke, dass Ihro Gnaden bestens wissen, dass ich neben Ihro Gnaden unter allen lebenden Kreaturen am meisten ihr verbunden war …‹«
    Henry unterbricht ihn wieder. »Aber Sie werden sehen, dass es später heißt, wenn sie schuldig ist, soll sie ohne Gnade bestraft werden und als Beispiel dienen. Angesichts dessen, wie ich sie aus dem Nichts erhoben habe. Und weiter sagt er, dass ihr niemand, der das Evangelium liebt, zugeneigt sein kann, sondern sie hassen wird.«
    Cranmer fügt hinzu: »›Weshalb ich darauf vertraue, dass Ihro Gnaden die Wahrheit des Evangeliums nun nicht weniger hochhalten wird, war Ihro Gnadens Liebe zum Evangelium doch nicht von Zuneigung zu ihr geleitet, sondern von der Leidenschaft für die Wahrheit.‹«
    Er senkt den Brief. Das scheint alles abzudecken. Sie kann nicht schuldig sein. Aber sie muss schuldig sein. Wir, ihre Brüder, verstoßen sie.
    Er sagt: »Sir, wenn Sie Cranmer wollen, schicken Sie nach ihm. Sie könnten sich gegenseitig trösten und vielleicht gemeinsam versuchen, das alles zu verstehen. Ich werde Ihren Männern sagen, dass sie ihn hereinlassen sollen. Sie sehen aus, als bräuchten Sie frische Luft. Gehen Sie hinunter in Ihren privaten Garten, dort werden Sie ungestört sein.«
    »Aber ich habe Jane noch nicht gesehen«, sagt Henry. »Ich möchte sie ansehen. Können wir sie herbringen?«
    »Noch nicht, Sir. Warten Sie, bis die Sache weiter fortgeschritten ist. Es gibt Gerüchte in den Straßen, Leute, die sie sehen wollen, und Balladen, die sie verhöhnen.«
    »Balladen?« Henry ist schockiert. »Finden Sie heraus, wer sie geschrieben hat. Die Leute müssen sofort bestraft werden. Dennoch, Sie haben recht, wir dürfen Jane nicht herbringen,

Weitere Kostenlose Bücher