Falken: Roman (German Edition)
Hochverrats oder der Tat selbst. Wenn sie behaupten, nur die Untaten anderer gesehen zu haben, müssen sie sagen, wer diese anderen sind. Offen und ehrlich müssen sie uns sagen, was sie wissen. Wenn sie Namen zurückhalten, müssen wir annehmen, dass sie selbst unter den Schuldigen sind.«
Das Kanonenfeuer trifft sie unerwartet, bebt über das Wasser. Du fühlst den Schlag in dir, in deinen Knochen.
An diesem Abend wird ihm eine Nachricht von Kingston aus dem Tower überbracht. Schreiben Sie alles auf, was sie sagt und tut, hat er Kingston aufgetragen, und der Konstabler ist ein pflichtbewusster, zivilisierter, besonnener, wenn auch manchmal etwas begriffsstutziger Mann, auf den man sich in derlei Dingen verlassen kann. Als die Räte zurück zur Barke gegangen waren, hatte Anne ihn gefragt: »Master Kingston, komme ich ins Verlies?« Nein, Madam, hatte er ihr versichert, Sie kommen in die Gemächer, in denen Sie sich vor Ihrer Krönung ausgeruht haben.
Darauf, berichtet er, bekam sie einen Weinkrampf. »Das ist zu gut für mich. Jesus, sei gnädig mit mir.« Sie kniete sich aufs Pflaster, betete und weinte, schreibt der Konstabler: Und dann, was äußerst merkwürdig war, wenigstens erschien es ihm so, begann sie zu lachen.
Ohne ein Wort gibt er den Brief an Wriothesley weiter. Der blickt davon auf, und als er spricht, ist sein Ton gedämpft. »Was hat sie getan, Master Sekretär? Vielleicht etwas, woran wir noch nicht gedacht haben?«
Er sieht ihn gereizt an. »Sie wollen doch jetzt nicht wieder von Hexerei anfangen?«
»Nein. Aber … wenn sie sagt, dass sie es nicht wert ist, gibt sie zu, dass sie schuldig ist. Wenigstens kommt es mir so vor. Nur weiß ich nicht, wessen sie sich schuldig fühlt.«
»Erinnern Sie mich, was ich gesagt habe. Welche Wahrheit wollen wir? Habe ich gesagt, die ganze Wahrheit?«
»Sie haben gesagt, nur die Wahrheit, die wir nutzen können.«
»Ich sage es hiermit noch einmal. Wobei Sie wissen, Nennt-Mich, dass das nicht notwendig sein sollte. Sie sind von schneller Auffassungsgabe. Einmal sollte genügen.«
Es ist ein warmer Abend, und er sitzt am offenen Fenster. Sein Neffe Richard ist bei ihm, und Richard weiß, wann er besser schweigt und wann er redet. Das liegt in der Familie, nimmt er, Cromwell, an. Rafe Sadler wäre die einzige andere Gesellschaft, die ihm zusagen würde, und Rafe ist beim König.
Richard hebt den Blick. »Ich habe einen Brief von Gregory bekommen.«
»Ach ja?«
»Sie kennen Gregorys Briefe.«
»›Die Sonne scheint. Die Jagd lief gut, und wir sind bester Laune. Mir geht es gut, wie geht es Ihnen? Und jetzt muss ich leider Schluss machen.‹«
Richard nickt. »Er ändert sich nicht. Oder vielleicht doch. Er will herkommen, zu Ihnen. Er sollte bei Ihnen sein, denkt er.«
»Ich wollte ihm das ersparen.«
»Ich weiß. Aber womöglich sollten Sie ihn lassen. Er ist kein Kind mehr.«
Er grübelt. Wenn sich sein Sohn an den Dienst für den König gewöhnen soll, könnte es ihm dienlich sein zu wissen, was damit einhergeht. »Du kannst mich allein lassen«, sagt er zu Richard. »Vielleicht schreibe ich ihm.«
Richard verweilt noch, um die Nachtluft auszusperren. Draußen vor der Tür fährt seine Stimme fort, er gibt freundliche Anweisungen: Holt den pelzbesetzten Mantel meines Onkels, vielleicht möchte er ihn, und bringt mehr Kerzen hinein. Er, Cromwell, ist manchmal überrascht, wenn er feststellt, dass sich jemand um ihn sorgt, sich genug sorgt, um an sein körperliches Wohlbefinden zu denken: die Dienerschaft ausgenommen, denn die wird dafür bezahlt. Er fragt sich, wie es der Königin mit ihrem neuen Tower-Gefolge gehen mag: Lady Kingston gehört mit dazu, und er hat Boleyn-Frauen geschickt; allerdings ist er nicht sicher, ob Anne die auch selbst ausgesucht hätte. Es sind erfahrene Frauen, die wissen werden, wohin es geht. Aufmerksam werden sie allem Weinen und Lachen lauschen, und Worten wie: »Das ist zu gut für mich.«
Er glaubt, er versteht Anne so, wie Wriothesley sie nicht versteht. Als sie sagte, die Räume der Königin seien zu gut für sie, wollte sie damit nicht ihre Schuld eingestehen, sondern dieser Wahrheit Ausdruck geben: Ich bin es nicht wert, ich bin es nicht wert, weil ich versagt habe. Eines wollte sie, diesseits der Erlösung: Henry bekommen und ihn behalten. Jetzt hat sie ihn an Jane Seymour verloren, und kein Gericht wird sie härter verurteilen, als sie sich selbst verurteilt. Seit Henry sie gestern hinter sich
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