Falken: Roman (German Edition)
der Mann, der ihr Gewalt antut, begeht Hochverrat.«
»Sie glauben, die haben Gewalt angewendet?«, fragt Wyatt trocken.
»Nein, so lautet nur der korrekte rechtliche Ausdruck. Es ist eine Vorspiegelung, die es uns erlaubt, gut von einer entehrten Königin zu denken. Und was Anne angeht, so ist auch sie eine Verräterin, sie hat es selbst zugegeben. Den Tod des Königs im Sinn zu haben, das ist Verrat.«
»Noch einmal«, sagt Wyatt. »Vergeben Sie mir mein mangelndes Verständnis. Ich dachte, Anne hätte gesagt: ›Falls er stirbt‹, oder ähnliche Worte. Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen. Wenn ich erkläre: ›Alle Menschen müssen sterben‹, sage ich dann damit den Tod des Königs voraus?«
»Es wäre gut, keine derartigen Fälle zu konstruieren«, erwidert er freundlich. »Thomas More ist dabei zum Verräter geworden. Aber lassen Sie mich zum Punkt kommen: Ich könnte Ihre Aussage gegen die Königin brauchen. Ich nehme sie auch in geschriebener Form und brauche sie von Ihnen nicht öffentlich vor Gericht formuliert. Einmal, als Sie bei mir zu Besuch waren, haben Sie mir von Annes Verhalten gegenüber Männern erzählt. Dass sie sagt: ›Ja, ja, ja, ja, nein.‹« Wyatt nickt, er erkennt die Worte, und es scheint ihm leidzutun, sie ausgesprochen zu haben. »Nun, Sie könnten für Ihre Aussage ein Wort umstellen müssen: Ja, ja, ja, nein, ja.«
Wyatt antwortet nicht. Das Schweigen dehnt sich aus und umfängt sie. Es ist ein schlaftrunkenes Schweigen, während sich andernorts Blätter entfalten, Maibaumblüten sprießen, Wasser in Brunnen plätschert und junge Leute in Gärten lachen. Endlich spricht Wyatt, und seine Stimme klingt angespannt: »Das war keine Zeugenaussage.«
»Was war es dann?« Er beugt sich vor. »Sie wissen, dass ich kein Mann bin, mit dem Sie unbedeutende Unterhaltungen führen können. Ich kann mich nicht zweiteilen, in Ihren Freund und den Diener des Königs. Also müssen Sie mir sagen: Werden Sie Ihre Gedanken aufschreiben und wenn man Sie fragt, ein Wort sagen?« Er lehnt sich zurück. »Wenn Sie mich in diesem Punkt beruhigen, werde ich Ihrem Vater schreiben und ihn meinerseits beruhigen. Ihm sagen, dass Sie diese Sache lebend überstehen.« Er macht eine Pause. »Darf ich das tun?«
Wyatt nickt. Die kleinstmögliche Geste, ein Nicken in Richtung der Zukunft.
»Gut. Hinterher werde ich Ihnen für Ihre Umstände und diese Inhaftierung als Wiedergutmachung eine Summe zukommen lassen.«
»Ich will kein Geld.« Wyatt wendet den Blick ab wie ein Kind.
»Glauben Sie mir, Sie wollen es. Sie schleppen immer noch Schulden aus Ihrer Zeit in Italien mit sich herum. Ihre Gläubiger kommen zu mir.«
»Ich bin nicht Ihr Bruder, Sie sind nicht mein Hüter.«
Er sieht ihn an. »Doch, das bin ich, wenn Sie darüber nachdenken.«
Wyatt sagt: »Wie ich höre, will Henry auch eine Annullierung der Ehe. Um sie umzubringen und von ihr geschieden zu werden, alles an einem Tag. So ist sie, sehen Sie. Alles spielt sich in Extremen ab. Sie wollte nicht seine Geliebte sein, sie musste Königin von England werden. Also werden Glaubensgrundsätze gebrochen, Gesetze erlassen, das Land und seine Menschen in Aufruhr versetzt. Wenn es so schwierig war, sie zu bekommen, was muss es ihn dann kosten, sie wieder loszuwerden? Selbst noch im Tod sperrt er sie besser ein.«
Er sagt neugierig: »Empfinden Sie keine Zärtlichkeit mehr für sie?«
»Sie hat sie aufgebraucht«, sagt Wyatt knapp. »Oder vielleicht habe ich auch nie welche für sie empfunden. Sie wissen, dass ich es selbst nicht weiß. Ich wage zu behaupten, dass viele Männer vieles für Anne empfunden haben, aber bei niemandem bis auf Henry war es Zärtlichkeit, und jetzt glaubt er, er ist zum Narren gehalten worden.«
Er steht auf. »Ich werde Ihrem Vater ein paar tröstende Worte schreiben. Ich werde ihm erklären, dass Sie noch etwas hierbleiben müssen, hier ist es am sichersten. Aber erst muss ich … Wir hatten gedacht, Henry würde auf die Annullierung verzichten, doch jetzt will er sie wieder, wie Sie sagen, und so muss ich …«
Wyatt sagt, als genösse er sein Unwohlsein: »Sie müssen zu Harry Percy, richtig?«
Es ist jetzt fast vier Jahre her, dass er sich mit Nennt-mich-Risley an seiner Seite in einem einfachen Gasthaus namens »Mark and the Lion« Harry Percy vorgenommen und ihm ein paar Wahrheiten über das Leben beigebracht hat: Die wichtigste dabei war, dass Percy, was immer er auch denken mochte, nicht mit Anne Boleyn
Weitere Kostenlose Bücher