Falken: Roman (German Edition)
verheiratet sei. An jenem Tag hatte er mit der Faust auf den Tisch geschlagen und dem jungen Mann erklärt, wenn er dem König nicht Platz mache, sei das sein Ende: dass er, Thomas Cromwell, Percys Gläubiger auf ihn hetzen und ihn vernichten lassen werde und es damit um seinen Titel und seine Ländereien geschehen sei. Noch einmal ließ er die Faust auf den Tisch niederfahren und warnte ihn, dass ihn darüber hinaus, wenn er Anne Boleyn nicht vergesse und Anspruch auf sie erhebe, ihr Onkel, der Herzog von Norfolk, in seinem Versteck aufspüren und ihm die Eier abreißen werde.
Seitdem hat er viele Geschäfte mit dem Earl gemacht, der heute ein kranker, gebrochener junger Mann ist, tief verschuldet und mit jedem Tag weniger Herr seiner selbst. Tatsächlich ist die Drohung fast Wahrheit geworden, die Drohung aus dem »Mark and the Lion«: nur, dass der Earl seine Eier noch hat, soweit man weiß. Nach ihrem Gespräch damals hatte Percy, der seit Tagen schon trank, seine Bediensteten angewiesen, ihm die Kleider sauber zu wischen und alle Spuren von Erbrochenem zu entfernen: Säuerlich riechend, grob rasiert, zitternd und grün vor Übelkeit war er vor den Rat des Königs getreten, um seinen, Thomas Cromwells, Wünschen zu entsprechen und die Geschichte seiner Verliebtheit neu zu schreiben: indem er jedem Anspruch auf Anne Boleyn abschwor, bestätigte, dass es nie einen Ehekontrakt zwischen ihnen gegeben und er sie bei seiner Ehre als Edelmann nie besprungen habe, dass sie völlig frei sei für den König, für dessen Hände, Herz und Ehebett. Auf die Bibel hatte er es geschworen, die der alte Warham hielt, der Erzbischof vor Thomas Cranmer, und das heilige Sakrament empfangen, Henrys stechenden Blick im Rücken.
Jetzt reitet er, Cromwell, hinüber, um den Earl in seinem Landhaus in Stoke Newington zu treffen, das nordöstlich der City an der Straße nach Cambridge liegt. Percys Stallknechte nehmen ihre Pferde, aber statt gleich einzutreten, bleibt er ein Stück vor dem Haus stehen, um Dach und Kamine in Augenschein zu nehmen. »Fünfzig Pfund zur Instandsetzung vor dem Winter wären eine gute Investition«, sagt er zu Thomas Wriothesley. »Den Arbeitslohn nicht mitgerechnet.« Hätte er eine Leiter, könnte er hochklettern und nach dem Zustand der Bleiplatten sehen. Aber das wäre womöglich nicht mit seiner Stellung in Einklang zu bringen. Der Master Sekretär kann tun, was er mag, als Master of the Rolls muss er jedoch an sein altehrwürdiges Amt denken. Ob er als der Vizeregent des Königs in geistlichen Fragen auf Dächern herumklettern darf … wer weiß? Das Amt ist noch zu neu und unerprobt. Er grinst. Sicher, es wäre ein Affront Master Wriothesley gegenüber, wenn er ihn auffordern würde, die Leiter zu halten. »Ich denke über meine Investition nach«, erklärt er Wriothesley. »Meine und die des Königs.«
Der Earl schuldet ihm eine beträchtliche Summe, dem König aber zehntausend Pfund. Nach Harry Percys Tod werden Besitz und Titel von der Krone geschluckt werden, und so studiert er auch den Earl selbst, um zu sehen, wie gesund er ist. Percys Haut ist von einem kränklichen Gelb, seine Wangen sind eingefallen, und er sieht älter aus, als er mit seinen vierunddreißig, fünfunddreißig Jahren ist. Und dieser saure Geruch, der in der Luft hängt, trägt ihn, Cromwell, zurück nach Kimbolton, zur alten Königin in ihren Gemächern: in den muffigen, ungelüfteten, kerkergleichen Raum, und er sieht die Schüssel mit Erbrochenem, die von einer ihrer Zofen an ihm vorbeigetragen wurde. Er sagt ohne viel Hoffnung: »Ihnen ist doch nicht wegen meines Besuchs schlecht?«
Der Earl sieht ihn mit eingefallenen Augen an. »Nein. Es heißt, es ist die Leber. Nein, im Ganzen, Cromwell, muss ich sagen, haben Sie mich ziemlich anständig behandelt. Wenn man bedenkt …«
»Wenn man bedenkt, womit ich Ihnen gedroht habe.« Er schüttelt reuevoll den Kopf. »Oh, Mylord. Heute stehe ich als armer Bittsteller vor Ihnen. Sie würden nie erraten, was mich herführt.«
»Doch, ich denke, das würde ich.«
»Ich erkläre Ihnen heute, Mylord, dass Sie mit Anne Boleyn verheiratet sind.«
»Nein.«
»Ich erkläre Ihnen, dass Sie etwa im Jahr 1523 einen geheimen Ehevertrag mit ihr geschlossen haben und Anne Boleyns sogenannte Ehe mit dem König deshalb nichtig ist.«
»Nein.« Von irgendwoher findet der Earl einen Funken des Mutes seiner Vorfahren, jenes Grenzfeuers, das in den nördlichen Teilen des Königreiches brennt und
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