Falken: Roman (German Edition)
Freigebigkeit. Humphrey und die anderen haben Geld zu verteilen. Und nach dem Abendessen wird es auch heute die übliche Essensverteilung an die Armen geben. Thurston, sein oberster Koch, sagt, sie versorgen zweimal täglich zweihundert Londoner.
Er sieht einen Mann im Gedränge, einen kleinen, gebeugten Mann, der sich kaum Mühe gibt, auf den Beinen zu bleiben. Der Mann weint. Er verliert ihn aus den Augen, findet ihn wieder, der Kopf des Mannes wippt, als wären seine Tränen die Flut und trügen ihn zum Tor. Er sagt: »Humphrey, finden Sie heraus, was den Burschen plagt.«
Aber dann vergisst er ihn wieder. Sein Haushalt freut sich, ihn zu sehen, alle seine Leute haben strahlende Gesichter, und um seine Füße ist ein Schwarm kleiner Hunde. Er nimmt sie auf den Arm, die Körper winden sich, die Schwänzchen wedeln, und er fragt sie, wie es ihnen geht. Die Dienerschaft drängt sich um Gregory und bewundert ihn von Kopf bis Fuß. Alle mögen ihn wegen seiner angenehmen Art. »Der Mann, dem alles untersteht!«, sagt sein Neffe Richard und drückt ihn an sich, dass die Knochen krachen. Richard ist ein stämmiger Junge mit dem direkten, brutalen Cromwell-Blick und der Cromwell-Stimme, die schmeicheln und widersprechen kann. Er hat vor nichts auf Erden Angst und auch vor nichts darunter. Würde ein Dämon in Austin Friars auftauchen, Richard würde ihm einen solchen Tritt in den haarigen Hintern geben, dass er gleich wieder nach unten verschwände.
Seine lächelnden Nichten, junge verheiratete Frauen, haben die Schnüre ihrer Mieder gelockert, um die schwellenden Bäuche unterzubringen. Er küsst sie beide, ihre Körper drücken weich gegen seinen, ihr Atem ist süß, erwärmt von Ingwerkonfekt, wie es Frauen in ihrem Zustand mögen. Er vermisst einen Augenblick lang … Was vermisst er? Die Biegsamkeit von zartem, willigem Fleisch, die gedankenverlorenen, von Thema zu Thema springenden Gespräche am frühen Morgen. Er muss vorsichtig sein, wenn es um Frauen geht, diskret. Er sollte seinen Widersachern nicht die Chance geben, ihn zu diffamieren. Selbst der König ist diskret, er will nicht, dass Europa ihn »Harry Hurenmeister« nennt. Vielleicht sieht er es im Moment lieber nur an, das Unerreichbare: Mistress Seymour.
In Elvetham war Jane wie eine Blume mit hängendem Kopf, bescheiden wie ein Gestöber aus grün-weißer Nieswurz. Im Haus ihres Bruders hat er sie vor ihrer Familie gepriesen: »Eine liebevolle, bescheidene, schamhafte junge Frau, wie es in unseren Tagen nur wenige gibt.«
Thomas Seymour, wie immer begierig, in ein Gespräch einzubrechen und seinen älteren Bruder zu übertönen: »Was Gottesfurcht und Bescheidenheit angeht, so wage ich zu sagen, kommen Jane nur wenige gleich.«
Er sah, wie Bruder Edward ein Lächeln verbarg. Interessiert von ihm verfolgt, hat Janes Familie mit einem gewissen Unglauben zu spüren begonnen, woher der Wind weht. Thomas Seymour sagte: »Ich könnte es nicht aussprechen; selbst als König würde ich es nicht über mich bringen, eine Lady wie meine Schwester Jane in mein Bett einzuladen. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte. Und würdest du es wollen? Warum? Um einen Stein zu küssen? Sie von einer Seite der Matratze zur anderen zu rollen, während dein Gemächte ganz taub wird von der Kälte?«
»Ein Bruder kann sich die Schwester nicht in der Umarmung eines Mannes vorstellen«, sagt Edward Seymour. »Wenigstens kein Bruder, der sich einen Christenmenschen nennt. Obwohl sie bei Hofe sagen, dass George Boleyn …« Er bricht ab und legt die Stirn in Falten. »Und natürlich weiß der König, wie er sich erklärt. Wie er sich anbietet. Er weiß, wie es gemacht wird, als galanter Gentleman. Wie du, Bruder, es nicht weißt.«
Es ist schwer, Tom Seymour auszuschalten. Er grinst nur.
Henry hat nicht viel gesagt, bevor sie Elvetham wieder verlassen haben. Hat sich herzlich verabschiedet, ohne ein Wort über das Mädchen. Jane hat ihm zugeflüstert: »Master Cromwell, warum bin ich hier?«
»Fragen Sie Ihre Brüder.«
»Meine Brüder sagen, ich soll Cromwell fragen.«
»Es ist also ein völliges Rätsel für Sie?«
»Ja. Es sei denn, ich werde endlich verheiratet. Werde ich mit Ihnen verheiratet?«
»Ich muss auf diese Aussicht verzichten. Ich bin zu alt für Sie, Jane. Ich könnte Ihr Vater sein.«
»Könnten Sie das?«, sagt Jane erstaunt. »Nun, in Wolf Hall sind schon merkwürdigere Dinge geschehen. Mir war nicht einmal bewusst, dass Sie meine Mutter
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