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Falkengrund Nr. 32

Falkengrund Nr. 32

Titel: Falkengrund Nr. 32 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Krabbe, ein wenig wie irgendein namenloses verwachsenes, verkrüppeltes Ding, um das es nicht schade war. Wie ein krankes Tier, das sich, von der Herde verlassen, freiwillig zum Sterben in die Dunkelheit zurückzog.
    Wie alt mochte dieses Gebäude sein? Dreihundert, vierhundert Jahre, oder noch älter? Es gab ein oberes Stockwerk, doch die Treppe dorthin war eingestürzt, jetzt ein nutzloser Sockel aus fünf Stufen. Die dicken Steinblöcke atmeten die Kälte des Winters aus, die Kälte der immer noch frischen Nächte. Sie hatten sich noch nicht erwärmt und würden sich wohl den ganzen Sommer lang nicht recht erwärmen.
    Die Kette der Handschellen rasselte, als wäre Mama das Gespenst dieser Mauern. Plötzlich trat ihr Fuß ins Leere. Sie griff hastig nach den Steinen, um sich festzuhalten, Geröll klickerte. Für einen Augenblick drehte sie den Kopf nach hinten, konnte jedoch nichts erkennen. Als sie wieder nach vorne blickte, holte der Red Cap eben aus, um eines seiner Geschosse in ihre Richtung zu schleudern.
    Mama hatte nur eine einzige Chance, dem Tod zu entgehen. Sie stieß sich mit den Händen ab und ließ sich in das Loch fallen, das ihr Fuß ertastet hatte. Der Stein krachte neben ihrem Kopf nieder, schlug andere Steine los, die nun auf sie herabprasselten. Das Loch war weniger tief, als sie befürchtet hatte. Sie fiel auf etwas, das eine Treppe sein musste – ein Weg ins Untergeschoss. Dort verlor sie das Gleichgewicht und rollte die Stufen hinab, tauchte in ein Meer aus Staub und Gesteinsbrocken ein, hustete heftig und hielt sich die schmerzenden Körperstellen.
    Aber sie lebte.
    Sofort kroch sie weiter in die Finsternis hinein. Kriechen, stolpern und wie eine einbeinige Kröte hüpfen – das war jetzt ihre Art der Fortbewegung.
    Nun saß sie vollends in der Falle, wenn der Red Cap ihr folgte. Und welchen Grund hatte er, das nicht zu tun? Ihm blieb alle Zeit der Welt, um sie zu töten. Er konnte sogar in Ruhe nach neuen Steinen suchen. Wenn sie ihm eine dritte Chance gab, das spürte sie, würde sie nicht mehr ausweichen können.
    Mama stieß gegen Holz. Das Holz gab nach, und ein quietschender Ton erfüllte wie das Heulen einer verfluchten Seele den steinernen Keller. Eine Tür? Auch Robben war mit den Handschellen eine schwierige Aufgabe, also richtete sie sich auf und humpelte bucklig und krumm in den sich anschließenden Raum. Drückte die schwere Tür hinter sich zu – was war das, zehn Zentimeter massive Eiche? Die Flucht, die Angst, der Sturz, all das hatte sie erschöpft, aber jetzt war nicht der Moment, sich auszuruhen. Im Dunkeln suchte ihre freie Hand nach Steinen, die sie gerade noch tragen oder rollen konnte. Sie fand sie und schob sie gegen die Tür. Da war außerdem eine Kiste, und sie ging herum, stemmte sich mit ihrem Rücken dagegen und setzte auch sie in Bewegung, bis sie gegen die Tür stieß.
    Als letztes lehnte sie sich selbst gegen das Holz. Würde das reichen?
    Keuchend starrte sie in die Dunkelheit, aus der sich nur zögernd Formen lösten. Eine grob menschliche Gestalt stand reglos in der linken Ecke – möglicherweise eine Art Rüstung. Solange sie die Handschellen nicht aufbekam, würde sie sie nicht anziehen können.
    Selbst wenn der Red Cap nicht in diesen Raum gelangte, war sie verloren. Sie hatte kein Wasser, keine Nahrung und erst recht kein Funkgerät, um Hilfe herbeizurufen. Sobald Hunger und Durst sie plagten, würde sie in Erwägung ziehen, ihr Versteck zu verlassen. Doch da draußen wartete der Tod auf sie. Da sie erst hinausgehen würde, wenn sie am Ende ihrer Kräfte war, würde sie ein lächerlich leichtes Opfer sein …
    Ihr Tod war lediglich um ein paar Tage aufgeschoben.
    Mama schloss die Augen leicht, versuchte nachzudenken.
    Öffnete sie wieder, als ein Licht durch ihre Lider sickerte. Ein grünes Licht.
    Die Dunkelheit vor ihr hatte sich verändert. Grünliche Konturen schwebten in der Luft. Mehrere von ihnen, pulsierend, wie elektrische Lichter, die von einem altersschwachen Generator gespeist wurden. Nein, sie schwebten nicht. Die Füße der Gestalten erreichten den Boden.
    Träumte sie? Rief die stickige, sauerstoffarme Luft Sinnestäuschungen hervor?
    Es waren dieselben Erscheinungen, die sie vor zwei Tagen im ersten Stock von Nevins Villa gesehen hatte. Sie waren nicht durchscheinend, verdeckten das, was hinter ihnen war. Aber dennoch schienen sie nicht ganz Teil der Welt zu sein, die sie kannte.
    Mama drückte sich gegen die Tür. Diese Wesen mussten

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