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Falkengrund Nr. 32

Falkengrund Nr. 32

Titel: Falkengrund Nr. 32 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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… Gespenster sein! Hatte der Professor nicht gesagt, die Red Caps würden sich mit Vorliebe in Schlössern aufhalten, in denen sich blutige Verbrechen ereignet hatten? Waren die Red Caps nur eine Facette des Grauens, das in diesen Mauern wohnte?
    Mama machte sich klein. Sie hatte die Hoffnung, die Geister würden über sie hinwegziehen, durch die Tür hindurch, auf ihrer stummen Spukrunde durch das, was von Perrick Castle übriggeblieben war. Doch sie verließen sie nicht. Allmählich wurden ihre Umrisse deutlicher. Es schien, als stelle sich irgendetwas in Mamas Geist auf sie ein, als würde ein Fokus justiert, ein Fokus, den sie von Geburt an in sich trug, der aber lange nicht benutzt worden war.
    Ein besonderer Blick, um Wesen dieser Art wahrzunehmen.
    Es waren drei. Sie trugen dunkelgrüne, weite Gewänder aus einem dicken, filzartigen Stoff. Ihre Gesichter waren fahl und von einer ungewöhnlichen altertümlichen Schönheit, wie man sie in Gemälden manchmal fand, doch selten bei lebenden Menschen. Sie schienen geschlechtslos, waren von kleinem Wuchs, und ihre Köpfe zierten kunstvolle Frisuren, die aussahen, als wären die Haare von Natur aus in Zöpfen und Kränzen gewachsen.
    War dieser unterirdische Ort Schauplatz von Verbrechen geworden? Bei der Vorstellung, es mit den Seelen dreier Ermordeter zu tun zu haben, wich das Blut aus ihrem Kopf. „Nein“, wisperte sie, als die Wesen sich ihr mit langsamen, kleinen Schritten näherten, einer Trauerprozession gleich. „Schaut mich nicht so an. Ich war es nicht. Ich … weiß nicht, was euch widerfahren ist, aber …“
    Vielleicht war es der Red Cap , wollte sie sagen. Er muss noch irgendwo da draußen sein. Warum holt ihr ihn euch nicht?
    Aber ihre Stimme versagte. Dennoch schielte sie nach den Köpfen der drei. Verletzungen wie bei Nevin konnte sie keine erkennen. Als Mama sah, dass sie genau auf sie zukamen, richtete sie sich ein wenig auf und wich zur Seite aus. Die Wesen blieben stehen, blickten ihr nach.
    Nun rastete ihr Verstand aus. Sie stolperte an der Wand entlang durch den Raum, warf scheppernd die Rüstung um, die dort stand, und erreichte viel zu schnell die gegenüberliegende Seite des Raumes. Sechs, sieben Meter, mehr maß eine Seite nicht. Vergeblich hatte sie nach einer weiteren Tür gesucht. Es gab keine. Allerdings gab es etwas anderes. In der Decke über der zusammengebrochenen Rüstung befand sich eine kleine Öffnung, ganz in der Ecke, der Durchmesser kaum groß genug für eine Faust. Licht fiel ein, also musste das Loch ins Freie führen. Sie hätte mit der Hand hineingegriffen, wäre es ihr möglich gewesen, sich aufzurichten. So blickte sie nur dort hinauf, um nicht die drei Gestalten anstarren zu müssen.
    Sie legte sich auf den Boden. So konnte sie besser hindurchsehen. Das Metall der zerfallenen Rüstung stach kalt in ihren Rücken. Dort oben war etwas zu erkennen. Ein Gesicht erschien über der Öffnung.
    Mama stöhnte.
    Es war das Gesicht der rotgekleideten Frau, die auf F. Dunsteys Party für Chaos gesorgt hatte.

7
    Die Siebzehnjährige riss sich hoch, fiel über die Rüstungsteile und hastete weiter. Tränen rannen über ihr verzerrtes Gesicht. Sie kämpfte gegen den furchtbaren Gegner, den jeder Mensch in sich trug – gegen den Wahnsinn. Es gab keinen Ausweg aus dieser Hölle. Es war, als hätten sich alle ihre Albträume versammelt, um sie in den Wahnsinn zu treiben. Nevin, der sich als Mörder entpuppte. Der Red Cap. Die grünen Gestalten, die wie aus dem Nichts aufgetaucht waren. Und nun diese Frau.
    Mama prallte gegen die Wände, kratzte daran, bis ihre Fingernägel abbrachen. Versuchte, ein Loch in den Boden zu wühlen. Alles sinnlos. Stumm bewegten sich die grünen Wesen, hielten jedoch stets Abstand zu ihr. Der Weg zur Tür wurde frei, und Mama hinkte dorthin, zerrte an der Kiste, doch sie kam ihr jetzt viel schwerer vor. Es war einfach gewesen, sie zu schieben, aber so schwierig, sie wegzuziehen. Mit unnatürlich weit aufgerissenen Augen spähte sie nach den Wesen.
    Eine Stimme schrie etwas, aber sie wollte sie nicht hören. Hohl kamen die Worte durch die Öffnung im Stein. Die rote Frau rief ihr etwas zu.
    „Du musst dich beruhigen! Entspanne dich! Wir sind hier, um dir zu helfen!“
    So etwas Lächerliches. Das waren nur Worte. Hohn. Man wollte ihr den letzten Rest geben. Ihr noch einen Schubs verpassen, damit sie in über die Schwelle zum Irrsinn taumelte und sich selbst vernichtete. Mama lachte und weinte

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