Falkengrund Nr. 32
ganz gut. In Wirklichkeit sind sie Menschen wie du und ich.“
„Menschen!“ Mama spuckte das Wort aus wie eine Verwünschung. „Ob Menschen oder Elben, was macht das für einen Unterschied?“
„Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.“
„Und was ist der Tag und was die Nacht?“ Mama merkte, dass sie zynisch klang.
Auch die Stimme der Frau wurde angespannter. „Die Red Caps sind eine kleine Gruppe von Männern, die eine geheime Gesellschaft bilden. Es gibt sie schon seit Jahrhunderten. Sie haben absichtlich dafür gesorgt, dass sich Legenden um sie rankten, dass die einfachen Leute böse Naturgeister in ihnen sahen. Das hielt ihnen die Menschen vom Hals. Sogar Polizisten nehmen Reißaus, wenn sie von den Red Caps hören. Hier starben schon mehrere Menschen, und trotzdem gab es nie eine anständige Untersuchung.“
Die Deutsche fixierte die drei Gestalten. Die Mittlere ließ nun die Handschellen fallen. Sie verhielten sich abwartend. Mama wartete darauf, dass sie sich auflösten. „Ich werde es nicht verstehen“, blieb sie weiter stur. „Und ich werde es nicht glauben, ganz gleich, was Sie mir erzählen.“
„Dann musst du sterben.“
Mama schlug mit den Fäusten gegen die steinerne Wand und stieß ein Heulen aus. „Ich will doch nur hier heraus …“
„Du kommst nur heraus, wenn die Elben dich eskortieren. Und jetzt hör mir endlich zu. Vielleicht ist es ja besser, wenn du mir Fragen stellst.“
Sie ließ den Kopf sinken. „Okay“, hauchte sie nach einer Weile. „Ich versuch’s. Was … was hatte Nevin mit den Red Caps zu tun?“
„Er war ihnen verfallen wie die anderen Designer auch. Nevin hatte als Kind seinen Vater durch einen Red Cap verloren. Aber diese kleinen Teufel töten nicht nur. Sie haben eine eigene Kultur aufgebaut, weitgehend unabhängig von der unseren. Eine Kultur, die auf ihrer kranken Auffassung von Schönheit beruht.“
„Menschenblut für ihre Hüte …“
„Und Gedichte, wundervolle Gedichte in einer fast vergessenen Sprache und in einer geheimen Schrift. Gedichte, die beinahe eine magische Kraft haben. Die viele verzaubern, die sie zu lesen vermögen. Die Poesie der Red Caps ist eine Droge, so tödlich wie viele andere.“
„So etwas ist … absurd …“
„Ja, ist es das?“ Die Frau lachte verbittert. „Vielleicht sagst du das, weil du keine Menschen kennst, die an Drogen und Obsessionen zugrunde gegangen sind. Nicht immer müssen es chemische Substanzen sein. Manchmal ist es die Arbeit, das Spiel, die Frauen. Künstler sind besonders gefährdet – es gibt Menschen, die sind an Büchern gestorben, oder an Ideen. Manche hat das Fernweh dahingerafft. Sie haben immer neue Orte besucht, bis sie geschwächt und ausgelaugt den Tod fanden. Du und ich, wir können nicht nachvollziehen, welche Faszination die Kultur der Red Caps auf Leute wie MacNorras oder Dunstey ausübt.“
„Dunstey? Er hat auch etwas mit ihnen zu tun?“
„Natürlich. MacNorras hat einige Leute angesteckt. Auch junge Kollegen wie Roy Richter. Über einen Mittelsmann, einen Arzt, haben sie Kontakt mit einzelnen Red Caps aufgenommen. Sie haben sogar das alte Gälisch gelernt und die Geheimschrift, um die Gedichte lesen zu können, die ihnen die Red Caps im Austausch für das Blut geben. Alle diese Leute spenden regelmäßig Blut, und es fasziniert sie. Stell dir vor – eine Kultur, in der das Töten erlaubt ist, wenn es dem Gewinn einer reinen, einmaligen Farbe dient! Für Menschen, deren Leben um Farben kreist, ist eine solche Kultur wie eine Offenbarung. Wenn sie von der Existenz der Red Caps erfahren, zum ersten Mal ihr Blut für sie hergeben, zum ersten Mal die vollendete Schönheit ihrer Dichtkunst erahnen, sind sie ihnen schon verfallen. Vergiss nicht, dass die Designer, die ihnen ins Netz gehen, durchweg Männer sind – genau wie die Red Caps selbst. Geheimbünde mit bizarren Regeln und Ritualen haben Männer seit jeher fasziniert. Denk nur an die Freimaurer, die Templer oder die Rosenkreuzer. Je befremdlicher und grausamer die Kulte, desto stärker fällt ihre Wirkung aus. In der chaotischen, wankelmütigen Welt der Modeschaffenden ist etwas so Archaisches und Primitives geradezu ein Halt, eine Zuflucht. Sie werden durch so etwas inspiriert.“
„Dann kam Nevin der Inspiration wegen hierher?“
„Der Brief der Red Caps hat sein Leben bestimmt. Er hoffte auf einen zweiten, der ihm die Kreativität seiner Jugend zurückbringen sollte. Dafür war er bereit, dich zu opfern.
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